Nun, ganz so trivial war diese ganze Gastarbeitergeschichte nun auch wieder nicht, zumal aus der DDR ja kaum Hilfsarbeiter kamen, sondern überwiegend bestausgebildete Facharbeiter und höhere Berufsqualifizierte.
Zuerst mal einige Grundvoraussetzungen jener Zeit:
1. Die Nachkriegskonjunktur - auch als Wirtschaftswunder - begann in der zweiten Hälfte der Fünfziger zu überhitzen. Die Folge waren Arbeitskräftemangel (vor allem im Sektor der Ungelernten), überschießende Lohnforderungen der übermütig gewordenen Gewerkschaften sowie ansteigende Inflationsraten.
2. In der deutschen Facharbeiterschaft wurde eine generelle Höherqualifizierung als Berufsziel angestrebt. Man ging auf Fortbildungslehrgänge, Studiengänge zur Qualifizierung als Techniker oder Meister, oder ging gleich auf eine TH.
Als zwangsläufige Folge wurde das Segment der noch praktisch arbeitenden Facharbeiter an den Maschinen und Werkbänken immer dünner, ebenso das Segment der für einfache Arbeiten willigen Ungelernten.
Die Folge: Arbeitskräftemangel in allen Arbeitnehmerschichten. In meinem Ausbildungsbetrieb wurden Anfang der Sechziger sogar noch Prämien für jeden vermittelten neuen Mitarbeiter - unabhängig vom Ausbildungsstand - ausgelobt und ausbezahlt. So dramatisch war der Arbeitskräftemangel damals schon geworden.
Und nun kommen die einzelnen Phasen der Gastarbeiter-Anwerbung, hinter denen höchst unterschiedliche Interessenlagen standen:
a) Man suchte hauptsächlich Ungelernte, um den Mangel an einfachen Arbeitskräften an den Produktionsbändern, in den Walzwerken und in der Bauindustrie (wie zuvor erwähnt, war ein großer Teil der deutschen Arbeitnehmer in Höherqualifizierungsmaßnahmen abgedriftet), aber auch, um die zu stark ansteigenden Lohnkosten und damit auch die aufkommenden inflationären Tendenzen zu bremsen.
b) Parallel zum boomenden Wirtschaftswunder mit den in die Höhe schießenden Lohnforderungen und gleichzeitig den immer weniger zu einfachen Arbeiten willigen Deutschen begann die Politik mit den Vorbereitungen der zunächst EWG (europäische Wirtschaftsgemeinschaft) genannten Vorstufe eines vereinten Europas.
Im Zuge dieses wirtschaftlichen Zusammenschlusses galt es, die Haushaltsdefizite besonders der südeuropäischen Partnerländer zu mildern und man ging davon aus, dass Gastarbeiter in Deutschland durch Geldtransfers in ihre Heimatländer die Aussenhandelsdefizite abmildern.
c) So kam es kurz nacheinander ab Ende der Fünfziger zu den Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland und Portugal.
d) Im Gegensatz dazu war das Anwerbeabkommen mit der Türkei eine ganz faule Nummer.
Die Türken sahen, wie man auf elegante Weise das völlig ungelernte, ungebildete und beschäftigungslose Prekariat den Deutschen aufhalsen und diese für die Beschäftigung, Bezahlung und auch Ausbildung einspannen kann.
Da Deutschland anfangs zu diesem Ansinnen jedoch abwinkte (man befürchtete ethnisch-kulturelle Spannungen), startete die Türkei eine Erpressung und benutzte dafür die Amis, die in der Türkei Raketen aufstellen wollten. Deutschland war somit im Zugzwang und beugte sich schlussendlich dem amerikanischen Druck und schloss dann auch mit der Türkei ein Anwerbeabkommen ab.
Fazit: Während die Anwerbeabkommen mit den südeuropäischen Ländern tatsächlich noch einen europäisch-gemeinschaftlich-politischen Hintergrund hatten, war die Anwerbung der Türken die Folge einer üblen politischen Erpressung.
Die Folgen davon sehen wir jetzt und werden darunter noch bitter leiden müssen.