„Hoffnung liegt auf der nächsten deutschen Bundesregierung“
Küpper: Wer müsste denn da aktiv werden?
Knaus: Eine große Hoffnung liegt auf jeden Fall auf der nächsten deutschen Bundesregierung. Deutschland hat in den letzten Jahren sehr vielen Menschen Schutz geboten. Das waren Ausnahmejahre, das war eine große Herausforderung. Wenn Deutschland jetzt sagen würde, man nimmt, sagen wir, jedes Jahr 40.000 Flüchtlinge auf in einem Resettlement-Programm, dann wäre das sehr viel weniger als in den letzten Jahren spontan kamen. Wenn Deutschland aber Frankreich und andere Europäer überzeugt und sich mit Kanada und den Vereinigten Staaten unter Präsident Biden zusammentut, dann wäre man schnell bei 250.000 bis 300.000 Flüchtlingen, die jedes Jahr, ohne ihr Leben zu riskieren, Schutz erhielten.
Das könnte man ausbauen, wenn da eine deutsche Bundesregierung vorangeht, gleichzeitig sagt, man will die lebensgefährliche irreguläre Migration reduzieren, allerdings ohne sich auf libysche Milizen zu stützen, aber durch Kooperation mit Herkunftsländern oder Transitländern, denen etwas anbieten, dafür nehmen die Leute zurück, die irregulär kommen.
Das Ziel muss sein, dass die, die Schutz brauchen, weltweit nicht vor verschlossenen Grenzen stehen und dass die Staaten, denen das ein Anliegen ist, sich hier weltweit engagieren. Ich glaube, die nächste deutsche Bundesregierung könnte hier wirklich ein Zeichen setzen, gemeinsam mit Verbündeten. Es gibt natürlich zum Glück noch andere Demokratien. Kanada ist ein Beispiel. Schweden ist ein Beispiel. Dort werden jedes Jahr 5.000 Menschen durch Resettlement aufgenommen, so viele wie in Deutschland, obwohl Deutschland achtmal größer ist.
„In der Türkei droht die Stimmung zu kippen“
Küpper: Schauen wir noch auf die aktuelle Situation, auf die aktuellen Herausforderungen. Ich habe es bereits angesprochen, das EU-Türkei-Abkommen aus dem Jahre 2016, Geld, auch Hilfe gegen Kontrolle von Flüchtlingen. So lautet ja in etwa der Deal. Das ganze basierte damals auf den Flüchtlingsbewegungen vor allem aus Syrien. Jetzt droht auch in Afghanistan eine ähnliche Lage. Wie belastbar ist das Ganze, oder wie wird sich das Ihrer Prognose nach entwickeln?
Knaus: Die erste Frage – und Sie haben es ja auch angedeutet –, es ging tatsächlich darum, Hilfe für das Erstaufnahmeland Türkei zu mobilisieren. Denn von den zehn Millionen zusätzlichen Flüchtlingen in den letzten zehn Jahren weltweit, die aufgenommen wurden, wurde ein Drittel in der Türkei aufgenommen. Dieses eine Land hat ein Drittel allen Flüchtlingsschutzes geboten, weltweit in den letzten zehn Jahren.