Rotterdam konnte – genau wie Warschau – zwar als «verteidigte Stadt» gelten
– eine «befestigte Stadt» war es aber ganz sicher nicht. Der Stadtkommandant
wurde am 14. Mai 1940 in gehöriger Form, zunächst jedoch vergeblich zur
Übergabe aufgefordert.
Ein Angriffsauftrag an das Kampfgeschwader 54 wurde deshalb als «rechtens»
angesehen und nun passierte das, was im Zweiten Weltkriege so oft ungewollte
Wendungen und Reaktionen auslöste: Der Befehl zum Angriffs-Stop nach Eingang
des Kapitulations-Angebots erreichte wegen eines simplen technischen
Details nicht mehr alle bereits anfliegenden Verbände: An der HE 111 musste die
Schleppantenne vor einem Bombenwurf eingezogen werden und dadurch war
vorübergehend kein Funkempfang aus grösserer Entfernung möglich.
Hier steckte auch wahrlich der «Teufel im Detail», denn 57 Kampfflugzeuge
warfen 971 Sprengbomben (158 zu 250 kg und 1150 zu 50 kg), aber&ez/ze Brandbomben,
auf die Altstadt von Rotterdam – genau in das befohlene Dreieck am
Kopf der Maas-Brücken (5).
Eine der ersten Bomben war ein Zufallstreffer auf die 1250 mm-Hauptversorgungsleitung
der Wasserwerke. Schon 10 min später soll der Leitungsdruck auf
39
«0» abgesunken gewesen sein und damit war auch die gesamte Löschwasserversorgung
über Hydrantenleitungen zusammengebrochen.
Erst etwa eine halbe Stunde nach dem Angriff entwickelten sich vereinzelte
Brände in den Trümmern getroffener Häuser – ausgelöst durch geborstene Gasleitungen,
umgestürzte Öfen und Kurzschlüsse in elektrischen Leitungen.
Im Verlaufe von vier Tagen (14. bis 17. Mai 1940) wuchsen sie dann nach und
nach zu einem Flächenbrandgebiet von ungefähr 2,6 km2 zusammen – BILD 4
Etwa 11’000 Häuser mit 25’000 Wohnungen – rund ein Sechstel der bebauten
Fläche der Stadt – wurden vernichtet und 75’000 Menschen (bei etwa 575’000
Einwohnern) obdachlos. 1147 Menschen verloren ihr Leben.
Die spätere Behauptung (74), «... dass einige Bunker für die Öl- und Margarineerzeugung
ausliefen, das auslaufende Fett in Brand geriet und die Fachwerkhäuser
der Altstadt somit in Brand gesetzt wurden ...» ist brandtechnischer
Unsinn und durch die Feststellungen zahlreicher Feuerwehr-Ingenieure an Ort
und Stelle widerlegt.
Das Ausmass der Katastrophe wurde im Wesentlichen durch drei Umstände
bestimmt:
■ Den Baucharakter des betroffenen alten Stadtzentrums: Es waren überwiegend
ältere, mehrgeschossige Fachwerkhäuser, dicht ineinandergeschachtelt,
die sehr viel Holzwerk enthielten und zahlreiche Feuerbrücken untereinander
bildeten. Ihre Struktur war sehr ähnlich den Bauweisen in den Altstädten von
Lübeck, Rostock oder auch Hamburg (z.B. in der Umgebung Reichenstrasse,
Gängeviertel, Alt-St. Pauli oder Alt-Altona).
■ die vom Krieg überraschte Bevölkerung, völlig schutzlos den Bomben ausgeliefert,
verängstigt durch Gewehrfeuer und Granatwerfer-Einschläge, auf der
Flucht vor den anrückenden deutschen Kampfverbänden, konnte nicht mehr
die Kraft aufbringen, mitten im Kampfgebiet nun noch mit Löschen anzufangen.
■ die vorhandenen Löschkräfte waren ebensowenig weder nach Zahl, noch Organisation,
noch Ausbildung und Ausrüstung in der Lage, die zahlreichen Entstehungsbrände
zu bekämpfen. Einen «Selbstschutz» gab es nicht – schliesslich hatten
die Niederlande ja auch nicht mit einem solchen Überfall gerechnet!
Die Lage in den Brandtagen glich in vieler Hinsicht den Verhältnissen während
des Hamburger Brandes 1842 – auch hier kam das Feuer schliesslich nach
vier Tagen mehr oder minder von selbst zum Stehen30.