Hallo Nutzerinnen und Nutzer
Mit dem Anschlagsversuch des Nigerianers Umar Farouk Abdulmutallab ist mal wieder das Thema Al-Qaida mächtig en vogue gekommen. Dabei fällt auf, dass es sehr viele und unterschiedliche Auffassungen gibt was man sich unter Al-Qaida eigentlich vorzustellen hat. Handelt es sich um eine wirkliche transnationale Terrororganisation, handelt es sich lediglich um ein loses Netzwerk mit nationalen Ablegern, nur um eine vage Ideologie der sich Terrorgruppen selbstständig anschließen oder auch nicht oder ist Al-Qaida gar eine CIA-Eigenkreation um die Kriege in der islamischen Welt zu legitimieren?
Eine wichtige Ursache weswegen wir heute eine solche Konfusion haben ist in meinen Augen der 11/9. Dieser wurde von der Organisation von Osama bin Laden, Al-Qaeda wie es hieß, geplant und ausgeführt und aus diesem Grund müsste man diese Organisation zerschlagen um die Gefahr des islamistischen Terrorismus für den Westen abzuwenden. Aus diesem Grund ist man in Afghanistan einmarschiert und hat einen weltweiten „Krieg gegen den Terror“ begonnen der Einsätze auf den Philippinen ebenso einschloss wie im Jemen, Afghanistan oder wo auch immer. Der Aufwand war und ist immens, doch die Schwierigkeit ist klar – mit welchem Gegner haben wir es eigentlich zu tun?
Die einfachste Lösung und die leichteste Legitimationsgrundlage ist natürlich, wenn man es mit einem mächtigen Gegner zu tun hat der global agiert und aus grundsätzlichen ideologischen Gründen den Westen bedroht. Wie es seinerzeit mit der UdSSR der Fall gewesen ist. Der Islamismus der neue Kommunismus. Wenngleich man den „Kampf gegen den Terror“ auch von der Wortwahl her als weltweit geführten asymetrischen Krieg verstehen könnte wo sich regelmäßig neue Schlachtfelder auftun – wie vor kurzem im Jemen. „Jemen die neue Anti-Terrorfront“ stand ja überall in den Zeitungen.
Das Problem mit dieser Sichtweise ist, dass sie mehr damit zu tun hat, dass in der westlichen Öffentlichkeit eine Legitimationsgrundlage für Militäreinsätze, Zahlung von Entwicklungshilfe etc. geschaffen werden soll indem man ein neues Phänomenen in alten schon bekannten Kategorien beschreibt als das das wirklich besonders viel mit der Realität zu tun hätte.
Dieses Problem der Fokussierung auf „Al-Qaida“ wegen dem 11/9 zeigt sich häufig wenn es z.B. offensichtliche weil besonders krasse Fehleinschätzungen produziert. So wird nämlich gerne die Bedeutung welche Osama bin Laden und seine Mannen vor dem 11.9 für den „Terrorismus“ hatten gerne übertrieben in meinen Augen. Da wird dann aus jedem Besuch eines Bekannten oder von bin Laden selbst zu einem Treffen welches die Geschehnisse des Landes auf Jahre beeinflussten. Besonders anschaulich wurde das in [Links nur für registrierte Nutzer] auf ntv wo es heißt:
Lachen muss ich zunächst einmal wegen den angeblich „informierten Kreisen“ und dazu wegen dieser Zahl die völlig unglaubwürdig ist bzw. ein Hinweis, dass der Reichtum von bin Laden seit jeher maßlos überschätzt wird. Man möchte den Eindruck gewinnen, bin Laden sei so etwas wie ein Milliardär gewesen – was völliger Blödsinn ist.Laut informierten Kreisen soll Sektenchef Mohamed Yusuf persönlich Osama bin Laden getroffen und 150 Millionen Dollar für den Aufbau einer Al-Kaida-Zelle in Nigeria erhalten haben.
So empfehle ich einen Blick in das Buch [Links nur für registrierte Nutzer]. Dort kann man sich im Kapitel 34 „Von Anwälten, Waffen und Geld“ ein Bild über die finanziellen Verhältnisse von Osama bin Laden machen. Dort erfährt man beispielsweise auf Seite 534, dass er von den 70ern bis in die 90er ratenmäßig Gelder in Höhe von insgesamt 27 Mio Dollar erhalten hatte. Man erfährt auf Seite 536, dass Osama trotz allem wohl jährlich 20 Mio Dollar auftreiben musste um seine Lager zu finanzieren und sich mit den Taliban gut zu stellen was er in erster Linie durch Spenden von „gleichgesinnten Hilfsorganisationen und von reichen Privatleuten aus der Golfregion“ zu Wege brachte. Er selbst hatte zudem bei seiner Flucht aus dem Sudan viel von seinem tatsächlichen Vermögen zurücklassen müssen. Das er dann für eine zu gründende Organisation in Nigeria mal eben 150 Mio Dollar rausgehauen hat ist in diesem Sinne völlig unglaubwürdig und entspringt in erster Linie dem Bedürfnis sich Osama bin Laden als islamistischen Donald Trump vorzustellen.
Dazu muss man sich einer grundlegenden Problematik bewusst werden, welche der Arbeit unserer Terrorexperten, Think Tanks und anderer Meinungsführer und Berichterstatter zum Thema internationaler Terrorismus innewohnt. Nämlich zum Einen, dass diese Berichterstatter, Analysten und Experten diejenigen sind welche das Bild welches westliche Bürger wie Politiker von Al-Kaida etc. haben prägen. Sie repräsentieren über ihre Berichte, Analysten und Einschätzungen diese Welt des islamistischen Terrorismus ohne, dass diese sich selbst umfassend zu Wort melden können. Diese möglicherweise banal wirkende Feststellung führt zu gravierenden Folgen, wenn es darum geht diese Berichte, Analysen und Einschätzungen zur Grundlage politischer Entscheidungen zu machen.
Zum Anderen haben diese Leute nämlich ihre eigene Vorstellungswelt, aber auch Auftraggeber (US-Regierung) und Publikum(US-Regierung+Bevölkerung).
Und so waren vereinfacht gesagt diese Leute nach dem 11/9 mit der Aufgabe konfrontiert Aufklärungsmaterial für einen „Krieg gegen den Terror“ zu liefern. Und hier war Terror durchaus als historisches Subjekt verstanden, sogar in direkter Nachfolge zum Kommunismus. So liest man im [URL=http://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2003/02/counter_terrorism/counter_terrorism_strategy.pdf]NATIONAL STRATEGY FOR COMBATING TERRORISM[/QUOTE] aus dem Februar 2003 z.B. solche Dinge:
oderThe terrorist attacks of September 11, 2001, in Washington, D.C., New York City, and Pennsylvania were acts of war against the United States of America and its allies, and against the very idea of civilized society. No cause justifies terrorism. The world must respond and fight this evil that is intent on threatening and destroying our basic freedoms and our way of life. Freedom and fear are at war.
The enemy is not one person. It is not a single political regime. Certainly it is not a religion. The enemy is terrorism—premeditated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by subnational groups or clandestine agents. Those who employ terrorism, regardless of their specific secular
or religious objectives, strive to subvert the rule of law and effect change through violence and fear. These terrorists also share the misguided belief that killing, kidnapping, extorting, robbing, and wreaking havoc to terrorize people are legitimate forms of political action.
Und für diesen Kampf der einer unglaublich stark ideologisch geprägten Weltsicht entspringt wurden dann Think Tanks gegründet und Berichte geschrieben. Und diese Berichte, welche gewiss weitaus differenzierter waren im Normalfall, aber dennoch wegen ihrer Auftraggeber einer solchen Weltsicht verhaftet bleiben mussten wurden dann von Journalisten gelesen und die darin enthaltenden Vorstellungen weiter verbreitet. Und so war innerhalb kürzester Zeit das Paradigma vom weltweiten „Krieg gegen den Terror“ zur Realität geworden. Ich empfehle mal obiges „Strategiepapier“ durchzulesen, die Art und Weise wie die US-Regierung damals den „Terrorismus“ dargestellt hat ist wirklich haarsträubend und die Komplexität der Wirklichkeit völlig ignorierend.With the end of the Cold War, we also saw dramatic improvements in the ease of transnational
communication, commerce, and travel. Unfortunately, the terrorists adapted to this new international environment and turned the advances of the 20th century into the destructive enablers of the 21st century.
Um jetzt wieder auf Al-Kaida zu sprechen zu kommen so hatte obiges natürlich auch massive Auswirkungen. Denn sowohl die Denkart einen neuen kalten Krieg anbrechen zu sehen, als auch das Denken/Reduzieren in/auf globalen und ideologischen Zusammenhängen hatte zur Folge, dass bin Laden und seine Mannen genannt Al-Kaida welche gewiss weltweit aktiv und auch einen weltweiten Kampf austragen wollten, automatisch bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen wurden. Nicht zuletzt weil man einfach erwartete es hier mit einem mächtigen Gegner zu tun zu haben, der dann auch wirklich als Aufhänger taugte einen weltweiten Krieg gegen den Terror auszurufen.
Ich habe es ja schon erwähnt, 150 Mio mal eben für eine Terrorgruppe – jeder Besuch eines „ranghohen Al-Kaida-Mitglieds“ wird zum entscheidenden Wendepunkt ganzer Nationen. Die Realität sieht dann doch wohl etwas anders aus.
Was es gab war eine Gruppe von alten Veteranen des Afghanistan-Krieges gegen die Sowjets welche sich um Osama bin Laden sammelten und die zusammen mit ihm hin und wieder Anschläge verübten und in den 90ern Unterschlupf beim Taliban-Regime in Afghanistan fanden wo sie ihre Ausbildungslager betrieben und auch Terrorzellen in anderen Ländern wie die in Hamburg in Verbindung stand und unterstützte. Nach dem 11/9 wurden die Taliban vertrieben, die Lager zerstört und viele Mitglieder der Gruppe getötet, gefangen genommen oder in die Stammesgebiete in Pakistan vertrieben wo bin Laden bis heute vermutet wird.
Seitdem meldet sich bin Laden bzw. sein „Vize“ az-Zarqawi regelmäßig über Video oder zuletzt eher Audio-Botschaften zu Wort wo man seinen islamistischen Sermon zum Besten gibt. Jedoch darf man davon ausgehen, dass Al-Kaida als Organisation mit Kommando-Strukturen etc. nicht mehr existiert, man sich lediglich von diversen Warlords an der Grenze von Afghanistan/Pakistan aushalten lässt. Wenn man mal genau überlegt scheint es mir auch extrem unwahrscheinlich, dass Al-Kaida als Organisation in irgendeiner Form noch existiert. Als Staatsfeind Nr.1. des Westens, vermutlich einer ganzen Horde an Kopfgeldjägern an den Fersen ist es diesem Mann bzw. anderen ähnlich prominenten Persönlichkeiten überhaupt nicht möglich eine Organisation aufzuziehen die in irgendeiner Form relevant wäre und über das gelegentliche Produzieren von Botschaften hinaus geht.
In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass die „zentrale“ Al-Kaida als Terrororganisation nicht mehr existiert. Natürlich gab es Überlebende der US-Invasion, diese Leute sind entweder in anderen Gruppen aktiv oder gelten wie bin Laden als Symbolfiguren in der Jihadisten-Szene – mehr aber auch nicht.
Nichts desto trotz ist es unstrittig, dass aktuell etwas existiert welches so etwas in der Art wie ein „Al-Kaida-Netzwerk“ darstellt der sich eine Reihe von Gruppen zugehörig fühlen und dies mitunter auch im Namen kenntlich machen wie z.B. „Al Qaida in Maghreb“, „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel“, „Al Qaida in Irak“ oder auch die Al-Qaida-Medienproduktion „as-sahab“. Die Frage ist jetzt was hat es damit auf sich und wie sollte man damit umgehen?
Eine Sache die all diesen Gruppen mehr oder weniger identisch zu Eigen ist, ist das was gemeinhin als „Al-Qaida-Ideologie“ bezeichnet werden könnte. Hierbei handelt es sich um Ideen die vor allem von Denkern wie [Links nur für registrierte Nutzer] stammen. Dieser war der Ansicht, dass die islamische Welt im 20ten Jahrhundert wieder in ein Zeitalter der Unwissenheit ([Links nur für registrierte Nutzer] wie in der vorislamischen Zeit zurückgefallen war und wieder zum wahren Islam zurückkehren müsse. Er sah sich in seiner Zeit mit dem Kapitalismus und Sozialismus 2 Alternativen gegenüber denen er mit seiner Vision einer wahrhaft islamischen Gemeinschaft wie in frühislamischer Zeit eine dritte hinzufügen wollte. Er war auch der Meinung, dass ein islamisches Leben nur in einer Gesellschaft möglich sei wo die Scharia zu 100% umgesetzt ist. Daraus folgte dann, dass man sämtlichen westlichen Einfluss in der Gesetzgebung und Gesellschaft zurückdrängen und die vollständige Umsetzung der eigenen Vorstellungen von Scharia umsetzen müsse. Die Al Kaida-Ideologie vom globalen Jihad geht jetzt einen Schritt weiter und sagte man müsse den westlichen Einfluss in und auf die islamischen Staaten beenden und meint dies mit Anschlägen im Sudan und dann auch den USA bewerkstelligen zu können. Man solle also einen globalen Jihad gegen die Kreuzfahrer (USA/EU) und Zionisten (Israel) führen um die islamische Welt zu befreien und den Segen der Scharia zu bringen. Dazu dürften so ziemlich alle sunnitischen Islamisten stark Anti-schiitisch eingestellt sein.
Als Anhänger einer Al-Kaida-Ideologie können also grundsätzlich alle Gruppen gesehen werden, welche versuchen in ihrem Gebiet die Macht zu übernehmen und die Scharia in vermeintlich reinster Form einzuführen und sich dabei als Teil eines globalen Jihad sehen.
Und doch sollte man sich unbedingt davor hüten dies Ganze jetzt auf den Kampf zweier Ideologien zu reduzieren, ein Kampf der Ideen – der Al-Qaida-Scharia-Unfreiheit gegen die demokratische Freiheit westlicher Prägung. Hier sind wir nämlich wieder ruck zuck im Kampf Weltkrieg gegen Al-Kaida.
An diesem Punkt möchte ich einen Artikel der Zeitschrift „Foreign Affairs“ zitieren. [Links nur für registrierte Nutzer]
Nachdem ich mich jetzt schon ausführlich darüber ausgelassen habe was Al-Kaida nicht ist bzw. welche Sichtweisen Al-Kaida meiner Meinung nach problematisch sind bzw. nicht den Kern der Sache treffen möchte ich nun eine alternative Sichtweise anbieten, welche wie ich denke obige Schwächen nicht aufweist.[...]
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Grounding Islamist organizations and their sympathizers in a local political reality shaped by the histories, predicaments, and preoccupations of the people they seek to mobilize is a central theme of Kepel's wide-ranging study of various Islamic political movements, chiefly in the Middle East. Part of his intention is to demonstrate how political movements that define themselves based on their readings of Islamic traditions are best understood through a close analysis of the contexts that produced them; they are not the generic symptoms of "resurgent" or "radical" Islam.
Looking at Islamist organizations from Afghanistan to Iraq, from Palestine to Lebanon, Kepel gives a convincing account of the failure of what he says are the two "grand narratives" that have dominated common understandings of political Islam over the past decade or so. The first is the narrative of the "war on terror." Put forward by the Bush administration and its circle of ideologues, it implied that the U.S. military would clear the way for the establishment of democratic politics across the Middle East. The second is both the target and the mirror image of the first: propagated by Osama bin Laden and his right-hand man, Ayman al-Zawahiri, it holds that jihad directed against the "far enemy," is the best way of establishing Islamic rule in Muslim-majority states and elsewhere. As Kepel points out, both theories are delusions, have equally improbable goals, and have inflicted horrific damage -- damage that has often provoked local resistance and left the United States and al Qaeda bogged down in the intransigent politics of place, facing criticism, fragmenting alliances, and isolation.
Quite apart from the ethical revulsion these two narratives have provoked among Muslims and non-Muslims alike, another problem, as Kepel points out, is their remoteness from Muslims' actual, and diverse, experiences. Both narratives so reify religion as to turn political behavior into the mere reflection of an individual's attachment to a timeless set of prescriptions called "Islam," as if these were removed from the contexts in which Muslim principles and identities drive political actors. They also suggest that Muslims' politics can -- or, in the case of bin Laden, must -- be understood in relation to their faith. Yet the truth is more complicated, contested, and contingent than these two narratives allow. Neither can explain why at a given time and place a given group of Muslims chooses the prescriptions it does from Islam's vast and rich tradition to guide its political behavior. And neither can account for why other groups of Muslims act on very different understandings of Islam or why still others see their engagement with power as having only the most tenuous connection, if any, to their religious beliefs.
What does explain these differences is political context. Kepel's account makes sense of the diversity of Muslims' politics, not simply in the Middle East, North Africa, and South Asia but also in western Europe, where a series of violent incidents and symbolic confrontations over the past decade has prompted talk of a fundamental incompatibility of values and a "clash of civilizations." A cursory glance at political reality makes clear that most of the conflicts involving Muslim immigrants in, for example, Denmark, France, the Netherlands, and the United Kingdom owed more to the policies pursued by these states' governments than to the Islamic identities or even Islamist proclivities of the protagonists. For Kepel, the policy eschewing integration in the Netherlands ("pillarization," which sees religious communities as separate pillars that help hold together the Dutch republic) and its counterpart in the United Kingdom ("multiculturalism," whereby the state lets people of different cultures regulate their own affairs) created fertile ground for the growth of radical Islamist political sentiments among Muslim immigrants in those two countries.
[…]
Wir haben also das Problem zu erklären was ein Netzwerk ist welches offenbar transnational existiert, dabei einer global ausgelegten Ideologie folgt, deren einzelne Gruppen, Ableger oder Filialen aber in erster Linie im regionalen und nationalen Kontext zu verstehen sind was sich schon darin zeigt, dass es bei manchen Gruppen um sektenartige Gebilde handelt mit kaum mehr als ein paar Dutzend Leuten oder einer Terrorzelle mit noch weniger und bei Anderen um ganze Stammes- und Clanarmeen wie in Afghanistan oder Somalia.
Die Lösung ist in meinen Augen sich mal anzuschauen wo dieses Netzwerk eigentlich existiert – nämlich im Internet. Es sind doch die diversen Foren, es sind die vielen Webseiten, youtube-Videos und dergleichen wo sich Bekennerschreiben, Drohvideos, Anleitungen, Propaganda und all dies zu finden ist. Und dies reicht in meinen Augen letztlich auch aus um ein transnational agierendes Al-Kaida-Netzwerk zu bilden, welches aus Gruppen besteht die sich ideologisch äußerst nahe stehen. Hierbei scheint es mir auch so zu sein, dass der Hauptvorteil des Internets ist, dass es den jeweiligen Gruppen so ein Leichtes ist Geld und Kämpfer zu rekrutieren und in den Genuss der Unterstützung einer weltweiten salafi-Jihadisten-Community zu kommen.
Es gibt mit as-sahab und der Global Islamic Media Front (GIMF) sogar Organisationen welche sich darauf spezialisiert haben für verschiedene Gruppen Videos zu produzieren mit denen sie mittels Drohungen, aber auch Propaganda-Videos oder sogar Interviews (wie z.B. [Links nur für registrierte Nutzer] mit Mullah Nazir aus Wana/Südwaziristan) verbreiten.
In diesem Sinne gibt es ein weltweites Netzwerk von Salafitisch-Jihadistischen Gruppen. Dieses Netzwerk ist aber in meinen Augen nicht als Al-Kaida-Dachverband zu sehen, welcher selbst handelt und ins Geschehen eingreift und schon mal gar nicht unter Oberbefehl von Osama bin Laden&Co, sondern lediglich eine Reihe von Plattformen auf der verschiedene lokale Gruppen sich austauschen, Werbung für sich machen z.B. um attraktiv für entsprechende Kämpfer zu werden die in den Dschihad ziehen wollen.
Nun – was macht es für einen Unterschied? Mögen sich jetzt viele Denken – ob ich Al-Kaida als Terrornetzwerk im herkömmlichen Sinne sehe oder eher als (Internet-)Szene. Nun der Unterschied ist ganz klar, dass im ersteren Sinne der nationale/historische Kontext der einzelnen Gruppe in den Hintergrund zu treten droht und man in Gefahr kommt alles auf einen globalen was auch immer zu reduzieren.
Um das zu erläutern sei auf ein aktuelles Beispiel verwiesen, wo die somalische Gruppe as-sabab (bzw. ash-shabab, wenn man sich um halbwegs richtige Transkription bemüht) angekündigt hat Kämpfer in den Jemen zu schicken um der dortigen Gruppe „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel“ zu Hilfe zu eilen.
Wenn man jetzt wirklich Al-Kaida als transnationales Terrornetzwerk versteht kommt man nicht umhin zu glauben, dass hier eine Zelle der Anderen Unterstützung senden will um im Sinne der „Gesamtorganisation“ zu handeln. In so einem Fall muss man das natürlich ernst nehmen und Kontrollen vor der jemenitischen Küste anordnen um einen solchen Versuch zu unterbinden.
Man kann das Ganze aber natürlich auch als reine Propaganda sehen. Zu erkennen, dass es ash-shabab mitnichten um die Gruppe im Jemen geht, sondern vielmehr darum selbst gut da zu stehen und in der Folge mehr internationale Kämpfer zu rekrutieren. In so einem Falle wäre ein groß angelegter Einsatz vor der Küste dann wohl höchst lächerlich. Zumal die Aktion von Südsomalia aus nennenswert Kämpfer in den Jemen zu bringen auch ohne Seeblockade logistisch eine Herausforderung wäre.
Es gibt eine ganze Reihe von Aussagen von Führer der „Mudschaheddin“ welche Treue für bin Laden schwören oder ihn Einladen oder sich in die Tradition von Al-Kaida stellen. Dies soll aber in meinen Augen weniger dazu dienen sich bin Laden oder wem auch immer in seinem Umfeld zu unterwerfen sondern primär beabsichtigen um Anerkennung und damit auch Unterstützung in dieser Szene zu werben. Man sollte entsprechende Aussagen also nicht überinterpretieren als würde da ein weltweites Netz von Loyalitäten am Werk sein, sondern vielmehr das Eigeninteresse das dahinter steht erkennen.
Die Frage was Al-Kaida ist, ist also durchaus ausschlaggebend dafür ob ich die Motivation der Al-Kaida-Gruppe begreife und dementsprechend effektiv gegen sie vorgehen kann oder ob ich Dingen hinterher laufe die nicht da sind.
Zusammenfassend lässt sich nun sagen, dass die westliche Sicht auf Al-Kaida und den „Terrorismus“ durch die Institutionalisierung des Krieg gegen den Terror stark ideologisch gefärbt ist. Man neigt dazu sich Terrorismus oder Al-Kaida zu homogenisieren um das Bedürfnis zu erfüllen einen klar abzugrenzenden Feind zu haben gegen den man dann auch effektiv vorgehen kann.
Die Wirklichkeit ist aber äußerst heterogen bzw. auch wenn es eine internationale Jihadisten-Szene gibt – die man mit einiger Berechtigung als Al-Kaida-Netzwerk bezeichnen kann, wenngleich die Kontinuität mit der „ursprünglichen“ Al-Kaida von bin Laden nicht wirklich gegeben ist - so handeln die einzelnen Gruppen in erster Linie in einem regionalen und keineswegs in einem globalen Kontext und dementsprechend muss man sich bemühen Ersteren wirklich zu verstehen und ernst zu nehmen. Sich also nicht der Versuchung hingeben, alles in großen Zusammenhängen und Kategorien zu denken was häufig zu Fehleinschätzungen führen kann.
Was haltet ihr davon? Liege ich mit meinen Einschätzungen richtig oder überschätze ich die Rolle des Internets und unterschätze die Wirkung eines bin Laden bzw. seiner Kameraden?