Montag, 30. November 2009
Letzte Woche hatte ich Gelegenheit, Polen zu besuchen. Polen ist das einzige EU-Land, dem es wohl gelingen wird, im Jahr 2009 eine Rezession zu vermeiden. Was ich vorgefunden habe, ist ein Land, das von Optimismus und der Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen in den kommenden Jahren gekennzeichnet ist.
Der entscheidende Kern des ,,polnischen Wachstumswunders“ ist ziemlich einfach und kann in einem Wort zusammengefasst werden: Inlandsnachfrage. Obwohl sich das Wachstum des Konsums abgeschwächt hat, blieb es dennoch sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor im positiven Bereich. Nach Jahren des schnellen Wachstums konsumiert die Bevölkerung auch weiterhin, obwohl die sinkende Beschäftigung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit sich zweifellos negativ auf den privaten Konsum in den kommenden Quartalen auswirken werden. Auch der öffentliche Verbrauch weist ein positives Wachstum auf, wenn auch wesentlich unter dem Niveau der vorangegangenen Jahre. Noch kann sich Polen – anders als Ungarn – ein signifikant wachsendes Haushaltsdefizit leisten. Die antizyklische Steuerpolitik konnte so beibehalten werden. Und schließlich scheint der Rückgang der Investitionen moderat zu bleiben, etwa im Bereich von 1 bis 2 Prozent. Dies ist vor allem großen öffentlichen Investitionsprojekten in der Infrastruktur zu verdanken. (Im Vergleich dazu prognostizieren wir für die Tschechische Republik und Ungarn einen Rückgang der Investitionen um 6,5 Prozent.)
Der Haushalt wird in den kommenden Jahren allerdings für Kopfschmerzen sorgen: Das Defizit steigt in diesem Jahr auf über 6 Prozent des BIP und wird auf über 7 Prozent im Jahr 2010 klettern, während die Europäische Kommission eine Konsolidierung auf den Stand von 3 Prozent bis zum Jahr 2012 verlangt. Obwohl die Finanzierung des Defizits kein Problem zu sein scheint – die Marktakteure bereiten sich darauf vor, polnische Obligationen zu kaufen – werden die Zinsen möglicherweise beginnen zu steigen, wenn der Pfad der Haushaltskonsolidierung so intransparent bleibt wie zur Zeit.
Bezüglich der Zinsen beschloß die Polnische Nationalbank letzte Woche, den Leitzins unverändert bei 3,5 Prozent zu belassen – ganz entsprechend der Erwartungen, die vorherige Stellungnahmen der Bank geweckt hatten. Anfang nächsten Jahres wird die Polnische Nationalbank einen völlig erneuerten Rat für Geldpolitik einsetzen, obwohl Direktor Skrzypek bis 2013 im Amt bleibt. Der neue Rat muss durch eine verläßliche Geldpolitik Ansehen gewinnen. Betrachtet man die Zinsen, so scheint die einzige Frage zu sein, wann der Rat mit einer restriktiven Politik beginnen wird: Gemäß einem breiten Konsens sind keine weitere Zinseinschnitte vorgesehen. Dies ist einerseits das Ergebnis einer relativ hohen Inflation: Für das Jahr 2009 erwarten wir eine durchschnittliche Rate von 3,4 Prozent und für 2010 von 2,3 Prozent. 2011 wird dann ein weiteres sprunghaftes Ansteigen aufgrund der Beschleunigung des Wirtschaftswachstums folgen. Andererseits wird für das Jahr 2010 auch ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit erwartet, denn die Beschäftigung im Privatsektor reagiert auf die Verlangsamung des Wachstums mit einer zeitlichen Verzögerung.
Dennoch bleibt das allgemeine Bild positiv, und die Aussichten verbessern sich. Die einzige besorgniserregende Entwicklung ist mit den Bestimmungen der Verfassung verbunden, die die Erhöhung der öffentlichen Schulden regeln. Laut Verfassung müssen, wenn der Schuldenstand nächstes Jahr 55% Prozent des BIP erreicht, Beschränkungen bezüglich der zukünftigen Ausgaben eingeführt werden. Dies würde die Einleitung von steuerlichen Restriktionen im Jahr 2011, dem Jahr der Parlamentswahlen, implizieren. Was allerdings entscheidend ist, sind nicht die öffentlichen Schulden gemäß der Definition der EU, sondern vielmehr die nationalen polnischen regulativen Maßnahmen. Diese ermöglichen ein gewisses Abweichen, indem man die Infrastrukturausgaben mittels eines separaten Fonds aus der Konsolidierung herausnimmt. Auf diese Weise wird die 55-Prozent-Marke – gemäß Berechnungen des Finanzministeriums – nur annähernd erreicht, nicht aber übertroffen werden. Und wenn das Defizit weiter steigt, dann kann die nationale Definition noch immer geändert werden. Eine Option wäre, die Schulden, die durch die Rentenreform entstehen, herauszunehmen. (Durch die Steuerreform werden die meisten Ersparnisse in Staatsobligationen investiert.) Steuerregeln scheinen also auch in einer Krise flexibel zu sein, selbst dann, wenn ein Land in der Lage ist, eine Rezession zu vermeiden.
Zoltán Ádám, Chefvolkswirt der Takarékbank Zrt.