Hallo Zusammen
und danke für die ersten Antworten, die wunderbar Ideologie frei waren und hoffentlich zu einer weiteren nüchtern, sachlichen und “ergebnisoffen” Diskussion führen. Und um hier von vornherein Mauern einzureißen, möchte ich kurz erwähnen, dass für mich Profit natürlich kein negativ belegtes Wort ist, ich immer allen die Eigenverantwortung ins Gewissen rede und ich nichts davon halte, gleich machen zu wollen, was nicht gleich ist.
Für mich werfen sich zwei Hauptrichtungen an Fragen auf. Zum einen, wie mit dem Spannungsfeld von Effektivität und sozialer Verantwortung umgegangen werden soll und ob der freie Markt wirklich alle Probleme löst und menschliche Bedürfnisse erfüllt.
Ich führte den Begriff der menschlichen Bedürfnisse ein, weil wir heute eine viel höherer Stufe an wirtschaftlicher Sicherheit erreicht haben, als diese jemals erreicht war und es heute nicht mehr ums überleben geht, sondern die reine Konsummenge und die Verteilung dieser.
Meine Bedürfnisse, und die sind ganz sicher nicht repräsentativ und auf andere zu übertragen, sind erstmal die Möglichkeit zum Überleben zu bekommen, meine Bequemlichkeit auszuleben und die Freiheit zu haben, wohin auch immer zu gehen. Lebenswert wird das Leben, wenn die Chance vorhanden ist, viel Zeit in soziale Kontakte investieren zu können. Konsum von Wirtschaftsgütern ist mir zweitrangig, da ich mich nicht über die Länge meiner Motorjacht identifiziere, dabei aber trotzdem die Freude genießen kann, gut bedient auf dem Sonnendeck im Kreise spannender Menschen den Sonnenuntergang zu erleben. Aber das genieße ich auch im Fall der Falles mit guten Cocktails auf dem Schlauchboot, solange, und an der Stelle hat die 15m Segelyacht eindeutig Vorteile gegenüber dem Schlauchboot, interessante Menschen zu treffen sind.
Aber an dieser Stelle werden alle Diskussionen problematisch, denn die Bedürfnisse sind niemals ideologisch auf andere übertragbar oder gar bewertbar. Jede Faulheit ist ebenso wunderbar, wie die ausgelebte Kreativität, der Wunsch nach Kindern, der Suche nach Macht oder nach der Möglichkeit, sich bedienen zu lassen.
Und unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem muss diesen weiten Spagat hingekommen, möglichst vielen der hier Lebenden einen guten Kompromiss zu bieten und deren Bedürfnisse zu erfüllen.
Leider gibt es schwache, dumme, ausbeutbare, hilflose ebenso wie es kreative, selbstbewusste, selbstverantwortliche, erfolgreiche und Macht besessene Menschen gibt. Aber alle sollten hier erträgliche Bedingungen finden, dass ist zumindest mein Anspruch. Und damit kommen wir zu der wichtigen Frage, wie viel Umverteilung es geben muss, um die schwächsten der Gesellschaft nicht verhungern zu lassen und wieviel “Pflichtprogramm” , z.B. an Schuljahren, um allen auch unfreiwillig einen Mindeststandard zu geben. Natürlich ist der Gedanke, vieles als Gut und nicht als Pflicht zu sehen vernünftig, ändert aber nichts daran, dass man kurzsichtigen Menschen die Grundwerkzeuge in die Hand geben muss.
Der freie Markt, und da sind wir uns wohl alle einig, führt in der Summe und in erster Nährung betrachtet zu den meisten produzierten Waren. Er führt im positiven zu dem größten Grad ein eigener Verwirklichbarkeit und damit Freiheit. Und nur wenn viel da ist, kann auch verteilt werden und jede Einschränkung des Marktes macht die Sau weniger fett. Aber der Markt ist nicht sozial, der Markt ist hart und lebt das Recht des Stärkeren. Und nur auf die Gnade Besitzenden angewiesen zu sein, die nach Lust, und um soziale Anerkennung zu bekommen, Armen etwas geben, steht meiner Meinung nach im Widerspruch zur Menschenwürde, dem ersten Artikel unseres Grundgesetzes.
Darum halte ich ein minimales Grundeinkommen, weit unterhalb dem heutigen Hartz IV Satzes, auf das dann je nach Fähigkeiten und Lust Einkommen erarbeitet werden kann für eine überlegendwerte Sache in Kombination zu einem viel freierem Markt als heute. Mir gibt es im Land viel zu viele Bereiche, die alle ein wenig umverteilen sollen aber in der bürokratischen Summe viel zu viel Einschänken und behindern. Da reicht ein System völlig. Denn wenn am oberen Ende nicht durch hinreichende wirtschaftliche Freiheit ordentlich verdient und produziert werden kann, dann gibt es nichts mehr zu verteilen. Das untere Ende aber ungeschützt mit der Härte den freien Marktes zu konfrontieren wird nicht funktionieren.
Der zweite Themenbereich ist die Frage, ob der völlig freie unregulierte Markt, und da nehme ich gerne im neutralen Sinne den Namen “Nachtwächterstaat” auf, wirklich zu mehr Wirtschaftskraft führt. Denn unserer System ist zu komplex, als das die Bedürfnisse einzelner Wirtschaftsbereiche durch diese selber erfüllt werden können und langfristige Investitionen stehen dem kurzfristigen Gewinn gegenüber.
Über die fundamentalen Staatsaufgaben wie “Justiz, Polizei und Landesverteidigung“ halte ich eine gesteuerte Infrastruktur auf hohem Niveau für überlebenswichtig; denn genau das ist der Standortvorteil Deutschlands, der viele Unternehmer zurückkommen lässt. Nur wenn die Stromnetze stabil, die Verkehrswege gut ausgebaut, die Energieversorgung gesichert ist und die Arbeitnehmer gesund sind, kann auf dieser Basis erfolgreich im internationalen Vergleich gewirtschaftet werden. Und der freie Markt sorgt kaum für neue Autobahnen. Er sorgt nur dafür, dass diese möglichst billig gebaut werden. Denn Wegerechte durch die Republik bekommt zu vernünftigen Kosten nur der Staat. Im freien Markt würden einige Spekulanten mit Insiderwissen um geplante neue Trassen und absurden Forderungen unnötige Gewinne realisieren.
Es gibt landesweite Systeme, die können nicht beliebig oft parallel installiert werden. Und darum sollte EIN vernünftiges Netz am obersten Ende des technisch Machbaren stehen. Z.B. sehe ich gerade in der Wartung der freien Stromnetze, dass es aus rein wirtschaftlichen Gründen natürlich blödsinnig ist, Überkapazitäten zu schaffen. Andererseits wird dabei nur die reine Stromseite betrachtet und es werden nicht die gesamtwirtschaftlichen Schäden betrachtet. Wenn der Strom landesweit einen Tag ausfallen würde, wäre der Schaden größer, als das ganze Jahr über der doppelte Strompreis.
Und in diesen landesweiten Systemen findet der freie Markt schwer vernünftige Kompromisse. Denkbar wäre das schon, aber dagegen steht die Macht der Monopolisten bzw. Oligopolisten. Es gibt keinen Stromtarif, bei dem ich Konventionalstrafen bei Ausfall vereinbaren kann. Für meinen Haushalt brauche ich das nicht, da kann ich gut mit Ausfällen leben, aber die Industrie benötigt so etwas und setzt darum auf eigene Kraftwerke.
Ebenso sehe ich das mit Krankenversicherungen. Warum interessiert die Optimierung eines Systems, ohne an die gesamtwirtschaftlichen Folgen zu denken? Natürlich ist es für die Krankenkassen billiger, jemanden eine Woche ins Bett zu legen, aber eine Woche Krankschreibung erzeugt bei mir mehr Ausfallkosten, als ein Jahresbeitrag der Krankenkassen.
Ebenso unterschätzen viele die Wichtigkeit des sozialen Friedens. Ein Tag Generalstreik ist unbezahlbar in unserer heutigen auf Termintreue bedachten Welt. Und auch hier hat der freie Markt Grenzen, da jedes Unternehmen nur für sich betrachtet nichts an dem Unfrieden verändern kann. Selbst der größte Arbeitgeber ist unbedeutend im Vergleich zum Gesamtarbeitsmarkt. Und wenn ich an Zeiten wie um 1928 denke, dann bin ich froh das hier im Land über Kurzarbeitergeld lenkend eingegriffen wird.
Der freie Markt erzeugt mir persönlich zu große Schwankungen. Der Gewinn in guten Zeiten ist enorm und nutzt allen, aber das Elend in schwachen Zeit ist ungeregelt unbeschreiblich. Darum bekenne ich mich zu unserer sozialen Markwirtschaft, die allerdings aktuell die kreativen Unternehmer eindeutig zu sehr einschränkt und hier, und genau und zuerst nur an diesem Punkt, würde ich mir viel mehr “freien Markt” wünschen.
Liebe Grüße
Von der Querulantin