Der Besuch in Auschwitz ist, ob der Papst das will oder nicht, der symbolische Höhepunkt seiner Pilgerreise nach Polen. Dabei sei der Abstecher zunächst gar nicht geplant gewesen, sagt sein Sprecher Joaquín Navarro-Vals. So viel Unempfindlichkeit gegen die Geschichte möchte man dem Vatikan gar nicht zutrauen. Denn natürlich hat Benedikt recht gehabt, als er – wie Navarro-Vals berichtet – auf dem Besuch bestand.
Allerdings hat er schon auf dem Hinflug nach Polen die merkwürdige Aussage getroffen, er komme vor allem als Katholik, nicht als Deutscher. Als ob sich das trennen ließe. Als müsste nicht gerade ein deutscher Katholik, aufgewachsen im Dritten Reich, Angehöriger der Flakhelfergeneration, Zeuge der Verdrängung der Verbrechen nach dem Krieg und der tätigen Hilfe der Kirche bei der Flucht so vieler Verbrecher – als müsste also nicht gerade der deutsche Nachfolger des polnischen Papstes in Polen besonders deutliche Worte finden zur Schuld und zur Verantwortung seiner Nation und seiner Kirche.
Das muss Benedikt XVI. ja auch wissen; jedenfalls beginnt er seine Rede mit den Worten: „Papst Johannes Paul II. stand hier als Sohn des polnischen Volkes. Ich stehe hier als Sohn des deutschen Volkes, und gerade deshalb muss ich, darf ich wie er sagen: Ich konnte unmöglich nicht hierherkommen. Ich musste kommen.“ Was aber der Sohn des deutschen Volkes an diesem Ort sagt, verschlägt einem auch nachträglich beim Lesen beinahe die Sprache und verschlug in der Tat manchen Zuhörern damals die Sprache. Seine Rede ist ein Dokument des intellektuellen und moralischen Versagens. Sie ist der Versuch, aus Tätern Opfer zu machen und die Geschichte des Holocaust vollständig umzudeuten.
Weil aber Auschwitz für das Selbstverständnis Europas und des Westens von so zentraler Bedeutung ist; weil die Erfahrung des Holocaust für die – nennen wir sie ruhig so – Zivilreligion der Demokratie bestimmend geworden ist, handelt es sich bei dieser Umdeutung nicht um eine bloße Frage der Geschichtsinterpretation oder des Gedenkrituals. Es handelt sich eben um einen kalkulierten Angriff auf dieses Selbstverständnis und diese Zivilreligion.
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Nachdem sich der Autokorso des Papstes in der Dämmerung entfernt hat, gehört Auschwitz wieder den Toten. Sie vor allem hat er missbraucht.