Nach Bekanntgabe des Wahlausgangs im Iran haben Tausende Anhänger des reformorientierten Oppositionskandidaten Mir-Hossein Mussawi auf den Straßen Teherans demonstriert. Dabei kam es in mehreren Stadtteilen zu teils heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die massiv Tränengas einsetzte. Die Demonstranten bewarfen die Polizei mit Steinen.
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad war mit überraschend großer Mehrheit wiedergewählt worden. Der 52-jährige Fundamentalist erhielt nach Angaben des Innenministeriums bereits im ersten Wahlgang über 62 Prozent der Stimmen. Die Opposition spricht von Wahlbetrug.
"Ahmadinedschad, schäme dich" und "Tod dem Diktator", skandierten die Demonstranten. Zahlreiche Anhänger Ahmadinedschads und rund 2.000 Unterstützer Mussawis gingen nach Angaben eines Augenzeugen zum Teil mit bloßen Fäusten aufeinander los.
Einige Demonstranten bewarfen die Polizeibeamten an Ort und Stelle mit Steinen und steckten Mülleimer in Brand. Die Polizei ging mit Knüppeln gegen die Demonstranten vor, es gelang ihr aber nicht, die Menge, die sich trotz eines Demonstrationsverbots versammelt hatte, zu zerstreuen.
Experten hatten angesichts des Wahlverlaufs bereits vor Unruhen gewarnt. Die Proteste und das gewaltsame Vorgehen der Polizei erinnerte Beobachter an große Teheraner Studentenproteste im Jahr 1999.
Der geistliche Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, bezeichnete Ahmadinedschads Sieg als "wahres Fest". Er rief zur Mäßigung auf. "Die Anhänger des gewählten Kandidaten und auch die der anderen respektierten Kandidaten sollten mit Blick auf Verhalten oder Erklärungen jedwede Provokation vermeiden", hieß es in einer Erklärung. Der gewählte Präsident sei der Präsident aller Iraner, und alle müssten ihn uneingeschränkt unterstützen.
Mussawi wurde von der Polizei daran gehindert, am Mittag eine Pressekonferenz zu geben. Auch eine für Samstagvormittag geplante Rede Mussawis an seine Anhänger wurde verhindert.
Mussawi, der auf knapp 34 Prozent der Stimmen kam, sprach von "Lügen" und einer "gefährlichen Inszenierung", der er sich nicht beugen wolle. Auf seiner Website erklärte der Oppositionspolitiker, die Iraner wüssten ganz genau, für wen sie gestimmt hätten. Sie würden weder "das Stimmzähltheater im (staatlichen) Fernsehen akzeptieren noch jenen folgen, die sich die Macht durch Lug und Trug erschwindelt haben". "Die Lügen und Tyrannei werden eine verheerende Wirkung auf das Schicksal unseres Landes haben."
In Vorfeld der Wahl hatte viele Anhänger Mussawis Kundgebungen über Textnachrichten organisiert, doch seit Donnerstag ist das SMS-System im Iran abgeschaltet.
Die Informationsfreiheit schien stark beschnitten zu sein: Einige Websites von Mussawi waren kaum zu erreichen, das staatliche Fernsehen berichtete nur von Ahmadinedschads Wahlsieg, nicht von Mussawis Vorwurf des Wahlbetrugs.
Schon vor der Bekanntgabe der ersten Zahlen hatte der 67-jährige Hoffnungsträger vieler Reformer Unregelmäßigkeiten beklagt. Viele Wähler hätten ihre Stimme nicht abgeben können, obwohl wegen des starken Andrangs die Öffnungszeiten der Wahllokale um vier Stunden verlängert worden waren.
Es habe vielerorts zu wenige Stimmzettel gegeben, und bei der Ausgabe von Zetteln habe es Verzögerungen gegeben. "Wir sehen uns als klare Gewinner", sagte Mussawi. Die Wahlbeteiligung lag mit 85 Prozent so hoch wie nie.
Der klare Wahlausgang kam überraschend. Beobachter hatten erwartet, dass keiner der vier zugelassenen Kandidaten im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent erhalten würde und damit eine Stichwahl nötig wird.
Mussawi waren Chancen eingeräumt worden, weil er nicht nur bei Reformbefürwortern wie jungen Wählern, Wohlhabenden und Frauen punkten konnte, sondern auch bei vielen Konservativen, die Ahmadinedschad mit seiner harten Linie verprellte.
Zudem schien die Wirtschaftslage gegen den Amtsinhaber zu sprechen. Der Iran leidet unter dem Verfall des Ölpreises und stark gestiegenen Preisen. Während Städte wie Teheran fest in der Hand der Reformer sind, genoss Ahmadinedschad gerade bei der verarmten Landbevölkerung immer noch starken Rückhalt. Dieser verdankt er auch schon seinen ersten Wahlsieg.
Der Sprecher der Internationalen Kampagne für Menschenrechte im Iran, Hadi Ghaemi, hatte zuvor erklärt, es habe im Iran offenbar über Nacht ein "Coup" stattgefunden, um allen anderen Parteien den Wahlsieg Ahmadinedschads aufzuzwingen. So sei Mussawi vom Teheraner Innenministerium am Freitag schon über seinen Wahlsieg informiert worden, wenige Stunden später wurde dann der Erdrutschsieg Ahmadinedschads veröffentlicht.
Auch mehrere Experten in den USA sprachen in ersten Reaktionen offen von Betrug. "Im Nachhinein betrachtet erscheint diese ganze Kampagne als eine Show." Der Präsident des Nationalen Iranisch-Amerikanischen Konzils (NIAC), Trita Parsi, sagte, er glaube nicht, dass die offiziellen Zahlen stimmten.
Laut Parsi sei es eine Sache, wenn Ahmadinedschad die erste Runde mit 51 oder 55 Prozent gewonnen hätte. "Aber diese Zahl hört sich extrem seltsam an", so der Experte weiter.
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