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-25Grad
Sokrates war zwar kein eigentlicher Rationalist, denn er sah von einem Daimon begleitet und unterschied eindeutig zwischen göttlichem und menschlichem Wissen, seine rationale Vorgehensweise, die er insbesondere der jugendlichen Bevölkerung nahelegte, wirkte aber fraglos zersetzend für eine Gesellschaft, die sich auf Mythen und Heldenliedern begründet.
Die Sophisten wirkten vergleichbar. Sie lehrten jeden grundsätzlich alles zu scheinen zum Zwecke des politischen Machterwerbs.
Wie die Apologie des Sokrates von Platon beweist, wurde Sokrates als Obersophist aufgefaßt, der zwar lehrt wie man alles Althergebrachte als grundlose Voraussetzungen ,,entlarvt", aber keine ernsthaften ethischen Alternativen anbietet. Eine vom sokratischen Geist durchsetzte Gesellschaft ist ohne jede Frage lebensunfähig. Das wußte auch Platon. In der Politeia sagt er über die Erziehung der Philosophen, daß es zwar Aufgabe des guten Staates sei die Falschheit der mythischen Ideen von der Tugend rational nachzuweisen, dieser Zustand als solcher aber extrem schlecht sei und deshalb unbedingt die Hinführung zu dem Guten, d.h. dem göttlichen Wissen, wenn man so möchte, nach sich ziehen muß.
Vor dem Hintergrund, daß a. die Existenz dieses Wissens als ungewiß bezeichnet werden muß, und b. Sokrates dieses Wissen gar nicht lehrte, halte ich es für absolut legitim, daß eine Gesellschaft ihre eigenen Tugenden und Ideale, die sie aus Mythen schöpft, vor der rationalen Zersetzung bewahrt.
Wie seht ihr das?
ZUSATZ : Man darf sich von der Härte des Urteils nicht blenden lassen. In der Antike waren, wenn mich nicht alles täuscht, nur die Todesstrafe, die Verbannung und die Geldstrafe vorhanden. Es geht also darum, ob Sokrates verurteilt werden soll; Sokrates selbst suchte die Todesstrafe oder den Freispruch, andere Urteilsverkündigungen wollte er nicht.