Aktueller Online-Flyer vom 06. Juli 2011
Globales
Die Situation in seiner Heimat hat unseren Cartoonisten zum Schreiben gebracht
Unglaublich, aber griechisch
Von Kostas Koufogiorgos
Die Situation in Griechenland ist schlecht. Sie ist die Summe einer Vielzahl von Fehlern, die während der letzten vierzig Jahre gemacht wurden. Die Wirtschaft wird vom Staat kontrolliert, die landwirtschaftliche Produktion wird zusammengeschnurrt, es gibt praktisch keine einheimische Industrie. Dazu kommt eine massive Importquote, massiver Konsum und eine auf Krediten basierte Wirtschaft. Man gründet praktisch sein ganzes Leben auf eine Kreditkarte.
Jetzt ist der Kreditrahmen aufgebraucht. Die Griechen sind besorgt - und wütend. Man kann nur darauf hoffen, daß die Politiker die Situation in den Griff bekommen, ansonsten wird sich die Gewalt ausbreiten, und die drei Todesopfer der Ausschreitungen vom 5. Mai 2010 werden nur der Anfang sein. Der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias sagte vor einigen Tagen, daß das griechische Volk Gerechtigkeit fordert und korrupte Politiker bestraft sehen will.
Steuerlastesel
Es ist unbestritten, daß Griechenland einen hohen Preis bezahlen muß, um sein wirtschaftliches Gleichgewicht wieder herzustellen. Es geht jedoch um die Art und Weise, mit welchen Mitteln dies erreicht werden soll. Die Last der radikalen Sparmaßnahmen trägt wieder wie so oft der einfache Arbeiter, der Rentner, der kleine Mann. Man nennt sie in Griechenland den Steuerlastesel. Nur daß sie diesmal unter der Last zusammenbrechen werden. Der durchschnittliche Grieche, wenn es ihn denn gibt, will viel tun und ist bereit, vieles zu opfern um die Wirtschaft seines Landes zu stützen. Was er aber noch mehr will, ist Gerechtigkeit.
Sie dominieren das Land
Die Politiker der beiden großen griechischen Parteien sind die Hauptverantwortlichen der Misere. Seit 1974 wechseln sie sich auf der Regierungsbank ab. Sie haben einen Staat aufgebaut, der von der jeweils an der Macht stehenden Partei kontrolliert wird. Wählt man die “richtige” Partei, hat man sehr gute Chancen auf eine Anstellung im Öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaften werden kontrolliert, selbst die Justiz. Als Beamter lernt man vor allem dies: Wenn Du von der Regierungspartei geschützt wirst, kannst Du alles machen: Sich schmieren lassen, betrügen, veruntreuen... alles, außer arbeiten. Die Regierung hat dafür gesorgt, daß Beamte mittels juristischer Tricks, zum Beispiel über das europäische STAGE-Programm, eingestellt wurden. Mit dem Ergebnis, daß der Finanzminister Papakonstantinou die Frage, wie viele Beamte auf der Gehaltsliste Griechenlands stehen, nicht einmal ungefähr beantworten kann. Der Staat ist wie ein riesiges Monster, das Unmengen an Geld verschlingt, aber dennoch nicht vernünftig arbeitet.
Wenn man einen Griechen in diesen Tagen nach seinem größten Wunsch fragt, dann wird er sich am meisten danach sehnen, einen Politiker ins Gefängnis wandern zu sehen. Die Parteien haben ein Gesetz verabschiedet, das die Politiker im Zweifel jedweder Verantwortung entbinden kann. Außerdem sind sämtliche Parlamentsmitglieder, der Ministerpräsident und sein Kabinett juristisch praktisch unantastbar. Wird ein Verteidigungsminister von der Waffenlobby bestochen, so wird das Verfahren innerhalb von zwei Jahren eingestellt. Für andere gilt diese Sonderbehandlung nicht. Es muß nicht gesondert erwähnt werden, daß alle Beteiligten in einer solchen Affäre straffrei ausgehen. Fälle wie diese gibt es massenhaft: Angefangen bei der berühmten Siemens-Affäre, bei der bisher niemand belangt wurde, über illegale Immobilien- und Grundstücksverkäufe an die Kirche bis hin zum Verkehrsministerium, das sich von Autoherstellern schmieren läßt... Die Liste nimmt kein Ende. Nicht einmal Staatssekretäre sind jemals belangt worden. Und der Staat verschwendet jedes Jahr Abermillionen durch überteuerte Verträge, nicht funktionsfähige Waffen oder unnütze Systeme.
Mangelnde Transparenz
Die Parteien haben kein klares Finanzierungssystem. Das Budget und etwaige Parteispenden werden nicht offengelegt. Vor wenigen Jahren wurde der Fall eines Kabinettsmitglieds bekannt, der mit diversen Tricks Geld im Ausland gebunkert hatte. Außerdem lief über den Namen seiner Frau eine Firma für Luxus-Immobilien. Seine Rechtfertigung zu den Vorwürfen lautete lapidar: “Es ist vielleicht unethisch, was ich tue...aber nicht illegal!” Es muß nicht erwähnt werden, daß er rechtlich nie belangt wurde.
Grundsätzlich müssen die Parlamentsabgeordneten ihre Einkünfte nicht offenlegen. Viele sind offensichtlich und aus unerfindlichen Gründen sehr reich, das Vermögen wird jedoch - wenn überhaupt - von Familienmitgliedern deklariert.
Vor kurzer Zeit forderte der Chef der rechtsextremen Partei LAOS von seinen Parteikollegen, ihm die Stimmzettel vorzulegen. Es ist unvorstellbar für ein Parlamentsmitglied, sich - und sei es auch nur in Einzelfragen- gegen die Linie seiner Partei zu stellen. Der Politiker E. Averov bezeichnete die Parlamentsmitglieder einmal sinnbildlich als Schafe: Wenn eines aus der Reihe tanzt, wird es vom Wolf gefressen. Was für eine Metapher für die älteste Demokratie der Welt.
Irrsinniger Beamtenapparat
Ein schönes Beispiel gibt ein Krankenhaus mitten in Athen ab: Dort wurden 40 verbeamtete Gärtner eingestellt. Natürlich ging es darum, treuen Wählern oder deren Familienmitgliedern einen Gefallen zu tun. Der Haken dabei: Das Krankenhaus hat überhaupt keinen Garten. Ein anderes Beispiel läßt sich vom staatlichen Fernsehsender ERT sowie von den Pressezentren der Ministerien erzählen. Politiker stellen Journalisten ihrer Wahl an, die ihnen entsprechend zu diensten sind. Wenn dies zur Zufriedenheit geschieht, werden ihre Familienmitglieder gern mit eingestellt. Das griechische Informationsministerium verbeamtet sogar seine Journalisten. Verbeamtete Journalisten - unglaublich, aber griechisch!
Verflechtungen mit Lobbyisten und Geschäftsleuten
Eine kleine Gruppe von Menschen kontrolliert die griechischen Medien. Besitzer eines Fernsehkanals kann ein Bauunternehmer sein, dessen Baufirma ausschließlich für den Staat tätig ist. Der Handel geht wie folgt: Ich gebe Dir Sendezeit im Fernsehen oder ein paar Seiten in der Zeitung, Du gibst mir dafür gute Aufträge mit entsprechender Bezahlung.
Der Herausgeber einer großen Wochenzeitung wurde an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz gefasst - mit 5 Millionen Euro in bar. Er konnte keine Erklärung abgeben, woher das Geld kam. Es muß nicht erwähnt werden, daß er nicht angeklagt wurde.
Griechenland ist zudem ein guter Kunde der Waffenindustrie: Vor einigen Jahren bestellte Griechenland zahlreiche Panzer, denn man bekam ja pro Stück einen schönen Bonus bar auf die Hand. Der Haken dabei: Für die Komplettausstattung reichte das Geld dann leider nicht. So wurden die Panzer ohne Munition geliefert und Griechenland wurde so stolzer Besitzer von Panzern, die sich lediglich für die Fahrt in der Parade eignen, nicht aber für die Verteidigung. Das nennt man gut angelegtes Steuergeld.
Lügen und Fehler der beiden letzten Regierungen.
Sowohl Karamanlis als auch Papandreou haben die heutige Situation zu verantworten. Der vorige Ministerpräsident Karamanlis, weil er die desaströse Haushaltslage kannte und vor der von ihm erhofften Wiederwahl nicht offenlegen wollte und konnte. Papandreou hat im Wahlkampf markig versprochen: “Wir haben Geld – wir haben einen Plan!”. Das hat sich bekannterweise als leeres Wahlkampfgetöse herausgestellt. Nun behauptet Papandreou, die detaillierten Haushaltszahlen nicht gekannt zu haben, obwohl der Präsident der griechischen Staatsbank gewarnt hatte, er erwarte ein zweistelliges Haushaltsdefizit. Der Versuch Papandreous so zu tun, als hätte er die Kontrolle über die desolate Lage, und nur das zögernde Verhalten der EU-Staaten in den letzten Wochen hätte dazu geführt, daß griechische Staatsanleihen praktisch wertlos sind, führte dazu, daß Griechenland - und damit auch der Euro - nun an den IWF weiterverwiesen wurden... Ist das nun nur inkompetent oder kriminell?
Am 5. Mai 2010 fand die größte Demonstration seit 20 Jahren statt. Die friedlichen Proteste, veranstaltet von den linken Parteien und den Gewerkschaften, wurden von einer kleinen Gruppe gewalttätiger Vermummter mißbraucht, die Polizei und Gebäude mit Molotowcocktails angriffen. Drei Menschen kamen dabei ums Leben. Die Regierung macht sich die Tragödie zu nutzen und stellt linke Parteien und Organisationen an den Pranger, gibt ihnen die Verantwortung. Der Journalist Thasos Telloglou schrieb im Online-Portal protagon.gr, man bräuchte eine neue Regierung, die in so schwierigen Situationen wie dieser das Recht haben sollte, die Verfassung in Teilen beschneiden zu dürfen. So zum Beispiel das Recht auf Demonstration. Das würde der Regierung und den Massenmedien sehr entgegenkommen.
Der Autor dieses Beitrags, Kostas Koufogiorgos, ist eigentlich Künstler und Cartoonist.In der NRhZ-Ausgabe Nr. 70 begann er mit der Serie „Kostarikaturen" - Zeichnungen, mit denen er jede Woche zu aktuellen politischen Themen seinen ganz persönlichen Kommentar abgibt. Vom 24.03.10 bis zum 02.05.10 konnte man einige seiner Cartoons zusammen mit denen anderer KarikaturistInnen im Haus der Geschichte der BRD, Bonn, Willy-Brandt-Allee 14, sehen – eine Auszeichnung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger. Dieser zeichnet jedes Jahr die besten politischen Fotos und Karikaturen des vergangenen Jahres aus und präsentiert sie auf einer Wanderausstellung. Die Ausstellung wird diesmal in sechs Städten gezeigt.
Weitere Informationen:
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Online-Flyer Nr. 249 vom 12.05.2010
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