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"[...]Nach 31 Jahren wurde einer Kaisers-Kassiererin fristlos gekündigt. Der Vorwurf: Sie habe zwei Pfandbons unterschlagen, im Wert von 1,30 Euro. Beweisen lässt sich das nicht. Muss auch niemand. Für eine Kündigung reicht der Verdacht. [...]"

"[...]Die Mitarbeiterin Barbara E. gehörte allerdings wohl zu denen, die sich nicht alles gefallen ließen. Hin und wieder gab es Auseinandersetzungen mit dem Marktleiter - wegen Mehrarbeit, wegen organisatorischer Differenzen, aber auch, so Barbara E., wegen seiner Angewohnheit, Mitarbeiterinnen vor den Kunden abzukanzeln, wenn ihm etwas nicht passte. Zudem gehörte die 50-Jährige zu den acht von damals 36 Kolleginnen in der Filiale, die beim härtesten und längsten Streik des Einzelhandels mit von der Partie waren.[...]"

"[...]
Umkehr der Beweislast
Am meisten verzweifeln aber lässt Barbara E., dass es am Ende völlig egal ist, wie es wirklich war. Der begründete Verdacht, es könne so gewesen sein, reicht aus - jedenfalls nach bisheriger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte. "Verdachtskündigung" nennt sich das und es kehrt die im Strafrecht übliche Unschuldsvermutung um.[...]"

"[...]Anders als im Strafprozess gegen, beispielsweise, einen Herrn Zumwinkel, zählt auch die "Lebensleistung" nicht. Die Rechnung "31 Jahre gegen einen Euro dreißig nur vermuteten Schaden" wird gar nicht erst aufgemacht.[...]

"[...]Barbara E. musste inzwischen aus ihrer Wohnung mit dem fantastischen Hochhausblick ausziehen. Ihr Arbeitslosengeld ist so niedrig, dass es mit Hartz IV aufgestockt werden muss[...]"

"[...] Wenn sie nicht zu alt war, wurde sie gefragt, weswegen sie nach 31 Jahren gekündigt worden ist. Nur ein Verdacht, hat sie gesagt, und manchmal kam sie noch dazu hinzuzufügen, dass es um einen Euro dreißig ging. "Sie hören von uns" hieß es dann, aber sie hat nie was gehört.[...]"




Ich habe schon mehrmals etwas zum Schwinden der Mittelschicht in Deutschland geschrieben. Dieser Fall ist in meinen Augen ein deutlicher Beleg dafür, dass die geltenden Gesetze es den Arbeitgebern faktisch ermöglichen jeden Mitarbeiter auf die Straße zu setzen, der ihnen nicht genehm ist. Die "Umkehr der Beweislast" findet ihre Fortsetzung bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle, was die Arbeitgeber allerdings nicht davon abhält fortwährend Forderungen in Bezug auf Zuwanderung zu stellen, mit der Begründung, dass es ihrer Ansicht nach einen Mangel an geeigneten Arbeitskräften gebe. "Geeignet" ist in den Augen vieler Arbeitgeber wohl nur jemand, der ohne Einschränkung "Ja" sagt, uneingeschränkt verfügbar ist, geringfügig beschäftigt und nach Belieben vor die Tür gesetzt werden kann.
In diesem Fall wurde aus einem zuverlässigen Arbeitnehmer, der sein Leben in jeder Beziehung im Griff hatte, ein Fall für Hartz IV gemacht. Und für so jemanden gilt ebenfalls die Umkehr der Beweislast, denn wer von Hartz IV leben muss, ist schließlich selbst daran schuld.