Deutscher Bundestag
15. Wahlperiode
Drucksache 15/2974
28. 04. 2004
Antrag
der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Eckhardt Barthel (Berlin), Siegmund Ehrmann, Marga Elser, Karin Evers-Meyer, Monika Griefahn, Petra Heß, Gisela Hilbrecht, Gerd Höfer, Klaas Hübner, Rolf Kramer, Ute Kumpf, Lothar Mark, Ulrike Merten, Ursula Mogg, Reinhold Robbe, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Angelica Schwall-Düren, Jörg Tauss, Hedi Wegener, Andreas Weigel, Verena Wohlleben, Franz Müntefering und der Fraktion der SPD,
sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2005
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung, die Regierungen der deutschen Länder und die Bürger des Landes auf, den bevorstehenden 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges im Jahr 2005 in angemessener Weise zu würdigen und zum Anlass zu nehmen, insbesondere in der jüngeren Generation das Bewusstsein über die Ursachen, die Geschichte und die Folgen des Krieges zu schärfen.
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.“ Damals wie heute treffen die Worte des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges die Bedeutung des 8. Mal der deutschen Geschichte.
Der 60. Jahrestag des Kriegsendes bietet eine der letzten Möglichkeiten, dieses zentrale Kapitel für die deutsche und europäische Geschichte noch durch einen breiten Dialog mit Zeitzeugen zu thematisieren. Wo irgend möglich sollte dieser Dialog auch Zeitzeugen aus anderen Ländern einschließen.
Im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges muss dabei die Tatsache stehen, dass der von Deutschland begonnene Eroberungs- und Vernichtungskrieg in der nationalsozialistischen Diktatur begründet war und die Befreiung, von dieser Diktatur erst durch die deutsche Kriegsniederlage möglich wurde. Der Nationalsozialismus war damit auch Voraussetzung für die europäische und deutsche Teilung nach 1945, die erst 1990 überwunden werden konnte.
Die Erinnerung an den 60. Jahrestag des Kriegsendes muss gleichermaßen die Voraussetzung für den Krieg, die Kriegsvorbereitungen, die Geschichte des Krieges und den politischen Neuanfang nach 1945 umfassen. Der Tatsache, dass Westdeutschland in eine beispiellose Phase der Demokratisierung, der Integration in Westeuropa und des Friedens eintrat, während sich in Ostdeutschland und Osteuropa neue Diktaturen entwickelten, muss dabei in besonderer Weise Rechnung getragen werden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Problemen im Umgang mit der eigenen Geschichte in den beiden deutschen Staaten sowie im vereinigten Deutschland.
Im Zentrum der Erinnerung sollten die Opfer stehen. Der Zweite Weltkrieg war eine wesentliche Voraussetzung für die beispiellose und historisch einzigartige Vernichtung der europäischen Juden und die Verfolgung und Ermordung anderer durch das nationalsozialistische Deutschland. Über 50 Millionen Menschen verloren in diesem Krieg Leben. Das Gedenken an die Opfer von Holocaust, Gewaltherrschaft und Krieg schließt das Leid und die Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung ein, sei es im Bombenkrieg, beim Vormarsch der Alliierten Truppen sowie im Zuge von Flucht und Vertreibungen. Dabei dürfen die ganz unterschiedlichen Gründe, aus denen Menschen zu Opfern wurden, nicht verwischt werden.
Die von Bund und von den Ländern getragenen oder finanzierten Institutionen der politischen Bildungsarbeit, die Schulen und Universitäten und die deutsche Gesellschaft selbst sind aufgerufen, sich in den Jahren 2004 und 2005 aber auch darüber hinaus der Herausforderung zu stellen, sich dauerhaft mit dieser dunklen Epoche der deutschen und europäischen Geschichte und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Der 60. Jahrestag, des Endes des Zweiten Weltkrieges ist hierfür besonderer Anlass und Gelegenheit.
Das Geschehene ist zwar ursächlich Teil der deutschen Geschichte, in seinen Ursachen und Folgen aber eingebettet in die europäische Geschichte. Nach all den Verbrechen und Schrecken des Krieges blicken wir heute dankbar auf die Entwicklung, die seitdem möglich war. In der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich eine stabile und anerkannte Demokratie. Die europäische Integration in der EU wurde möglich. Freiheit und Demokratie haben sich in Europa durchgesetzt und Europa wächst zusammen. Deshalb sind alle Bemühungen zu fördern, die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen als zentralen Komplex des europäischen Geschichtsbewusstseins zu begreifen, was in besonderer Weise Veranstaltungen und Projekte in Zusammenarbeit mit Institutionen anderer europäischer Länder einschließt.
Berlin, den 28. April 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion