Vor einigen Tagen erschien ein interessanter Artikel in der WELT über die "sieben Mythen zur Finanzkrise" von Sebastian Jost.
Lesenswert und diskussionswürdig ragt er wenigstens insofern über vieles hinaus, was in den letzten Wochen zu dem Thema gesagt und geschrieben wurde.
Man kann trefflich darüber streiten, wie ich schon gestern erfahren habe und ... ich zitiere ihn jetzt einfach mal verkürzt. Wer gleich den gesamten Artikel lesen will (ist auch gar nicht so lang) - hier der Link:
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1. Mehr Kontrolle ist die Rettung
Hauptverantwortlich für diese Krise sind die Banken – und damit der am strengsten regulierte Teil des Wirtschaftssystems. Zumindest in der Theorie.
Weder die amerikanische Notenbank Fed noch die sonst als besonders streng bekannte Börsenaufsicht SEC haben rechtzeitig erkannt, dass den Banken der schwungvolle Handel mit verbrieften Krediten über den Kopf wuchs. Hierzulande ist die Bilanz der Aufseher nicht besser.
„Solange die Polizei die Verkehrsregeln nicht effektiv überwacht“, sagt ein Bankenvorstand, „bringt es nichts, mehr Verkehrsschilder aufzustellen.“
2. Der Markt hat versagt
Allerdings hat der Staat kräftig dazu beigetragen, dass es überhaupt so weit kam. Die Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, die den Bauboom in Amerikas Vorstädten erst möglich gemacht haben, sind quasistaatliche Anstalten. Sie handelten im Auftrag der Bush-Regierung, wenn sie jedem Amerikaner den Traum vom eigenen Haus erfüllen wollten. Dazu kam eine Notenbank, die unter ihrem legendären Chef Alan Greenspan ab dem Jahr 2001 den Markt mit Geld überschwemmte, um die Wirtschaft anzukurbeln.
3. Gewinne wurden privatisiert, Verluste werden sozialisiert
Auch wenn die Finanzkrise für die Steuerzahler fraglos zu einem Fiasko zu werden droht: Es ist nicht richtig, dass sie allein drauflegen. Zehntausende Banker von der Wall Street verlieren ihren Job. Und: Gerade in den Top-Positionen wurden die Verantwortlichen in der Regel zu einem großen Teil in Aktien bezahlt. Da diese in der Regel erst nach zwei bis drei Jahren verkauft werden dürfen, haben die Boni erheblich an Wert verloren. Die Kursverluste treffen auch die übrigen Anteilseigner der Banken.
4. Der Staat wird es jetzt richten
Die Regierung kontrolliert die Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, die Notenbank Fed AIG. Und Experten wie der Wirtschaftsweise Peter Bofinger fordern als nächsten Schritt bereits eine Verstaatlichung von Ratingagenturen. Doch nichts deutet darauf hin, dass die USA nun deutsche Verhältnisse kopieren werden – hierzulande liegt der Staatsanteil im Bankensektor bei 50 Prozent. „Die Rettungsaktionen der US-Regierung sind zu vergleichen mit einem Feuerwehreinsatz“, sagt der Frankfurter Bankenprofessor Jan Pieter Krahnen. Dass Paulson und Bernanke dabei Aktien einkassieren, ist nur der Ausgleich für die Milliardenhilfen – so hat der Steuerzahler die Chance, über einen späteren Wiederverkauf einen Teil des Geldes zurückzubekommen.
5. Amerika wird sozialistisch
Selbst glühende Verfechter freier Märkte haben kaum etwas gegen die Rettungsaktionen einzuwenden. Schon der Vater des Ordoliberalismus, der deutsche Ökonom Walter Eucken, warnte den Staat ausdrücklich davor, die Wirtschaft sich selbst zu überlassen. Dass die Regierung bei existenziellen Krisen eingreift, gehört zum modernen Verständnis einer Marktwirtschaft – solange die der Staat nicht zum dauerhaften Machtzentrum im Wirtschaftsleben wird.
6. Die Investmentbanken sind tot, es lebe die Universalbank
Das gängige Argument dafür: Banken mit Zugang zum Privatkundengeschäft sind stabiler, weil sie nicht darauf angewiesen sind, sich ständig Geld am Kapitalmarkt zu leihen. Doch wenn dieses Postulat absolut gelten würde, gäbe es noch eine Bank namens Washington Mutual. Tatsächlich ist die einst führende Sparkasse der USA jetzt zusammengebrochen, weil die Kunden ihre Einlagen abzogen – sie trauten der Bank nicht mehr. „Jede Bank geht unter, wenn sie kein Vertrauen mehr genießt“, sagt der Bankenprofessor Martin Weber von der Universität Mannheim. Dazu kommt: Die Krisenbilanz großer Universalbanken wie Citi oder UBS ist äußerst bescheiden.
7. Die Spekulanten sind schuld
Die meisten Experten schütteln da nur den Kopf: Solche Leerverkäufe gehörten zu einem funktionierenden Kapitalmarkt, sagt Martin Weber: „Wenn der Preis überhöht ist, muss man dagegen handeln dürfen.“ Die Kursblase am Neuen Markt zu Beginn des Jahrtausends wäre kleiner ausgefallen, wenn Leerverkäufe schon verbreitet gewesen wären. So gesehen hätte der US-Hypothekenmarkt eher mehr als weniger Spekulation gebraucht – allerdings in die richtige Richtung.