Zitat von
reinhard
Es stimmt, Erdogan hat vor zwei Jahren die türkische Anerkennung des Völkermordes angekündigt. Das tat er allerdings im Ausland, und seine Ansprache wurde in der Türkei bisher nicht veröffentlicht. Aber du hast Recht, es war ein erster Schritt.
Die Ankündigung, das Ergebnis der armenisch-türkischen Historikerkommission zu akzeptieren, hat er allerdings zu Hause dann in einen Müllhafen von Propaganda versteckt. Er hat sogar behauptet, die Kommission wäre noch gar nicht zusammengetreten – obwohl sie bereits 2002 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. In der Türkei gibt es leider Millionen von Erdogan-Anhängern, die halbe Analphabeten sind und deshalb solchen Quatsch glauben. In Deutschland können fast alle türkisch-stämmigen Einwohner lesen und schreiben und kennen deshalb das Ergebnis der Historiker-Kommission. Nur einige debile Hauptschulabbrecher wiederholen hier die Lüge, die Kommission würde erst "gefordert".
Gleichzeitig hat Erdogan aber seinen Landsleuten auch versprochen, gegen die Anerkennung des Völkermordes durch die UNO vor dem Internationalen Gerichtshof zu klagen. Darüber waren allerdings die türkischen Historiker entsetzt, weil klar ist, dass dann ein Urteil gegen die Türkei ergeht. Erdogan glaubte damals, eine solche Ankündigung würde ihm im Wahlkampf nützen. Wirklich geklagt hat er natürlich nicht. Auch hier vertraut er darauf, dass ein großer Teil seiner WählerInnen nicht lesen und schreiben können und deshalb die UNO-Anerkennung nicht kennen.
Erdogans Problem ist eben, dass er glaubt, in der Türkei massiv Stimmen zu verlieren, wenn er den Völkermord anerkennt. Gleichzeitig sieht er die Probleme, die mit dem EU-Beitritt auf ihn zukommen, wenn er den Völkermord nicht anerkennt.
Die EU hat ja bekanntlich den Völkermord anerkannt und das im "Amtsblatt der Gemeinschaft" veröffentlicht. Mit dem Beitritts-Antrag hat die Türkei schon pauschal zugesagt, das gesammelte Recht der Gemeinschaft in das eigene Rechtssystem zu übernehmen. Dewshalb hat Erdogan sowieso ein Problem – wenn er das macht, mit den eigenen Wählern – wenn er dagegen verstößt, mit der EU. Zunächst mal hat er "vergessen", in der Türkei zu erwähnen, dass er mit seiner Unterschrift unter den Beitrittsantrag rund 90.000 EU-Beschlüsse akzeptiert hat, darunter auch die Anerkennung des Völkermordes.
Wer Lust hat nachzusehen: In der jüngsten Resolution des Europaparlaments wird nicht mehr gefordert, dass die Türkei den Völkermord anerkennt (weil Erdogan das formell ja gemacht hat), sondern es wird gefordert, den Völkermord "zuzugeben". Der erste Schritt ist vor zwei Jahren getan, der zweite wäre, das auch in der Türkei öffentlich zu sagen.
Was passiert? Die jüngste Gallup-Umfrage aus der Türkei sagt, dass die Minderheiten, also rund 50 Prozent der Einwohner, das einfach auch akzeptieren würden. Beim türkischen Bevölkerungsteil würden das nur 19 % akzeptieren. Da hat Erdogan dann ein Problem.
Da die Regierung der Republik Armenien auf Gebietsansprüche und Entschädigungen bereits verzichtet hat (nicht allerdings die armenische Opposition), würde international materiell nicht passieren. Die Anerkennung wäre ein symbolischer Akt.
Eine Folge wäre sicherlich, dass die Weltöffentlichkeit schlagartig das Interesse verlieren würde. Wenn die Türkei den Völkermord anerkennt, haben andere Parlamente keinen Grund mehr, sich damit zu befassen.