"Wir haben Angst vor der Sonne." Unter dieser Titelzeile mailte die 32jährige Literaturwissenschaftlerin Vladislava Gordic aus Novi Sad in den ersten Wochen der NATO-Bombardements ein Kriegstagebuch in die Welt. Die Berliner Wochenzeitung "Freitag" druckte am 16. April 1999 Auszüge davon: "Hallo, allerseits, ich bin Vladislava Gordic aus Novi Sad in Jugoslawien, eine von den Millionen wütender, frustrierter, moralisch und seelich erschütterter Opfer der NATO-Bombenangriffe. Als die NATO am 24. März, gegen acht Uhr abends, ihre Angriffe startete, waren ihre ersten Ziele sogenannte militärische Objekte in Novi Sad. Was tatsächlich zerstört wurde, waren seit langer Zeit leerstehende Kasernen. Bei dem Versuch, diese Kasernen zu treffen, wurde die nahegelegene Grundschule 'Svetozar Markovic Toza' schwer beschädigt. Zum Glück waren zu diesem Zeitpunkt keine Kinder mehr im Schulgebäude. (...) Wenn man so nachdenkt, scheint diese Kategorie der 'militärischen Ziele' sehr weit auslegbar. Angenommen, serbische Soldaten essen Schokolade, sollten NATO-Bomben dann alle serbischen Schokoladefabriken zerstören, um zu verhindern, daß serbische Soldaten sich etwas Süßes gönnen und Energie tanken, damit sie 'Völkermord an den Albanern' begehen können? Dies ist alles völlig absurd. (...) Ich bin Dozentin für amerikanische Literatur an der Universität von Novi Sad. Ich habe die Vereinigten Staaten besucht und erfahren, daß es tatsächlich ein Land der Möglichkeiten ist. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich über den amerikanischen Traum lustig machen. Trotzdem, nachdem ich zwei Tage in einem feuchten Keller gehockt habe, mit einem entzündeten Zahn, ohne in diesem Schlamassel zum Arzt gehen zu können, fühle ich mich sehr angespannt, fast am Rande meiner Kräfte. Ich möchte nicht ausfallend werden, gegen niemanden. Nur, bitte, macht aus dem amerikanischen Traum keinen jugoslawischen Alptraum. Vladislava Gordi´c am 26. März 1999." Jeden Tag informierte Vladislava über Internet alle, die es wissen wollten, wie es einer jungen Intellektuellen im Krieg ergeht. Irgendwann nach dem 7. April wird die Telephonleitung nach Novi Sad gekappt. Was aus Vladislava geworden ist?
"Wir sitzen im Garten des kleinen Hauses von Nemenikuce, 60 Kilometer südlich von Belgrad", schreibt Kurt Wolff, der als einer der wenigen Deutschen mitten im Krieg serbischen Freunden einen Besuch abstattet. Die Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 26. Mai 1999 bringt Auszüge seines Reiseberichts: "An diesem wunderschönen Maimorgen übersetzt mir Milomirka Martac-Fillmann NATO-Flugblätter ins Deuschte. Milomirka buchstabiert mir eben, um fünf vor elf Uhr, den Namen einer .... als plötzlich starkes Dröhnen von fünf, sechs Jets oberhalb der lockeren Wolkendecke einsetzt. Kurz danach ein Einschlag. Sicherlich in Mladenovac, wo vor Tagen schon die Autoteilefabrik "Petar Drapsin" demoliert wurde. Um elf Uhr und zwölf Minuten röhrt wieder ein Jet heftig über uns. Fast gleichzeitig eine ohrenbetäubende Detonation, deren Druckwelle deutlich zu spüren ist. Mir ist wie bei Tiefflieger-Angriffen vor 55 Jahren. Ich versuche, mein Zittern vor Milomirka zu verbergen und weise auf Bodenerhebungen im Garten, wo wir Deckung finden können. Zunächst glauben wir, es hätte im Dorf eingeschlagen, dann tippen wir auf den Kosmaj, einen 600 Meter hohen, waldbedeckten Berg, zwei Kilometer südöstlich von uns. Den mittleren seiner Gipfel krönt ein weithin sichtbares Denkmal aus hochgeschweiften Beton-Armen. Es erinnert an die erste Kosmaj-Brigade der Partisanen, die am 2. Juli 1941 gegründet wurde. Und es mahnt an die Opfer für die Befreiung Jugoslawiens. Bis zum Beginn der NATO-Angriffe brannte dort ein ewiges Licht. (...) Nachmittags fahren wir auf den Kosmaj. Zwei Raketen vom Typ Maverick mit Laser-Steuerung haben knapp 50 Meter vor dem Denkmal die Bäume zerfetzt. Die erste schlug in den Waldboden ein, die andere detonierte 15 Meter weiter in Richtung des Fundaments. Die Zielansprache des NATO-Piloten lautete eindeutig: Denkmal! Ein Irrtum ist auszuschließen." In der Nacht darauf wurde die nahe Klinik "Dragisa Misovi´c" getroffen. Drei behinderte Menschen fanden im Bombenhagel den Tod sowie eine Mutter, deren Kind gerade durch Kaiserschnitt zur Welt hätte gebracht werden sollen.
Ganz Jugoslawien, Serbien, der Kosovo, die Vojvodina, Montenegro war Zielgebiet der NATO-Bombardements. Im folgenden soll versucht werden, einen zeitlich geordneten, wenn auch notwendigerweise selektiven Überblick über Ziele und Schäden des Bombenkrieges zu geben.
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