Montag, 30. April 2007
Türkei
Kursbestimmung

Von Oliver Stönner, Investment-Stratege bei Cominvest

Die innenpolitisch kontroverse Diskussion über die Präsidentschaftsnachfolge sollte nicht die erheblichen wirtschaftlichen Fortschritte der Türkei in der Amtszeit der Regierungspartei AKP in den Hintergrund drängen. Seit den Wahlen im November 2002 hat sich das Wachstum der Wirtschaft stabilisiert, die Inflationsrate ist im Zuge einer straffen Finanzpolitik kräftig gesunken und die Auslandsverschuldung konnte deutlich abgebaut werden. Die Zinsentwicklung spiegelt diese positiven Makrotrends wider. Der Leitzins konnte schrittweise von rund 45% im Jahr 2002 auf unter 15% im Jahr 2005 zurückgeführt werden. Aktuell beläuft sich der Leitzins auf 17,5%, und die Märkte haben im Zuge der politischen Unsicherheit in den letzten Monaten ihre Zinssenkungserwartungen bis zum Jahresende auf 50 Basispunkte nach unten revidiert.

Wir rechnen jedoch damit, dass die Rückführung der Leitzinsen nach der politisch unsicheren Phase, d.h. nach den Parlamentswahlen im November, verstärkt fortgesetzt werden kann. Ausschlaggebend hierfür ist der aus unserer Sicht strukturell bedingte Rückgang der Inflationsrate. Dieser resultiert aus dem Strukturwandel der türkischen Wirtschaft. Die zunehmende Verflechtung mit der Wirtschaft der EU spiegelt sich in einer erhöhten Investitionsdynamik wider, die spürbare Produktivitätsgewinne nach sich zieht und die Exportunternehmen schrittweise robuster gegen eine stärkere Aufwertung der Lira macht. Es überrascht daher nicht, dass die Anteile der Industrie und Dienstleistungsbereiche am BIP zulasten der Landwirtschaft kontinuierlich zulegen.

Fortschritte hinsichtlich entscheidender strukturpolitischer Fragen, wie bspw. die Reform des Renten- und Sozialversicherungssystems, sind erst nach dem Parlamentswahlen im November zu erwarten. Auch der Besuch des IWF am Anfang des Jahres hat diesbezüglich zu keinen neuen Nachrichten geführt. Der IWF hat die Regierung lediglich erfolgreich dazu gedrängt, der wahlkampfbedingten Ausweitung des Budgetdefizits mit Einzelmaßnahmen entgegen zu wirken. Diese Strategie kann allerdings nur über die schwierige Wahlperiode hinweghelfen, da die Defizitentwicklung insbesondere Probleme im Sozialversicherungssystem und im öffentlichen Unternehmenssektor widerspiegelt.

Wirtschaftlich ist zudem positiv hervorzuheben, dass die Türkei durch die zunehmende Verflechtung mit der EU verstärkt von den Impulsen aus dem Euroraum profitiert. Dies hat vor allem die Entwicklung der Industrieproduktion in den letzten Monaten gezeigt. Die exportnahen Bereiche haben anhaltend überdurchschnittliche Zuwachsraten zu verzeichnen, während sich die binnenwirtschaftlich getriebenen Sektoren deutlich langsamer entwickeln. Deutsche Unternehmen haben die positiven Trends in der Türkei als Chance erkannt und gehören zu den aktivsten ausländischen Unternehmen in der Türkei. Der wichtigste Außenhandelspartner der Türkei ist die deutsche Wirtschaft ohnehin. Dies sollten die Finanzmärkte gerade dann im Blick behalten, wenn das politische Umfeld temporär schwieriger wird.

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