Zitat von
Beverly
Wobei ich mir die Vermutung erlaube, dass das, wovor die Moderne gerettet werden soll, noch schlimmer ist als sie. Sehr viel schlimmer und das will schon was heißen :rolleyes:
Wie sähe denn ein lebbarer Gegenentwurf zur heutigen Moderne aus?
Eine ländliche Gesellschaft, wo Privatautos verboten sind und es nur öffentliche Verkehrmittel, Fahrräder oder Schusters Rappen gibt. Die Mechansierung beschränkt sich auf Traktoren, Mähdrescher und andere Landmaschinen, weil mit Nahrungsmittelproduktion mit Muskelkraft zu ineffektiv ist. Dann noch ein paar Fabriken für Konsumgüter, wo ein bisschen High-Tech drin ist, um auch bei kleinen Stückzahlen effizient zu produzieren. Wobei soooo viel gar nicht produziert wird, denn bei Kleidern, Möbeln und dergleichen wird Wert auf lange Haltbarkeit gelegt. Wer seine alten Pullover nicht mehr sehen kann, bringt sie zum Recycling-Fundus - irgendwer wird sie schon haben wollen.
Werbung wie wir sie kennen, ist verboten, weil sie über das materiell oder auch Ästhetisch - schöne Kleider, Schmuck - Notwendige hinaus gehende Bedürfnisse weckt. Selbstverständlich können alle Lesen und Schreiben und die Bücherei führt alle Titel der Weltliteratur gedruck oder als Hörbuch. Aber gibt es Fernsehen? Ein Kino mit mehreren Vorführsälen würde ausreichen, um das Bedürfnis nach bewegten Bildern zu stillen und verbraucht weniger Ressourcen als das Heimkino für jeden. Vermutlich stehen Fernseher und Internetanschluss nur in der Bücherei, wo sie mit 10 bis 20 Minuten Fußweg oder Fahrrad für jeden zu erreichen sind. Schließlich möchte man ja auch mit Leuten außerhalb des eigenen Umfeldes kommunizieren. Um schnell Verabredungen zu treffen, ist etwas in der Art unseres Telefons doch recht nützlich.
Elektronisches Papier wird als willkommener, weil Ressourcen schonender Ersatz für Papier aus Holz angesehen.
Fernhandel ist wieder Fernhandel und nur für exotische Dinge zuständig resp sorgt für Abwechslung. Hat man sich an den eigenen Kartoffeln über gegessen, tauscht man sie gegen Reis ein, weil auch die Reisesser mal Abwechslung wollen. Über die Vorstellung, sich selbst für die zum Überleben notwendigen Dinge von so etwas wie der "Globalisierung" abhängig zu machen, würde die Menschen in der fiktiven Gemeinschaft wohl nur den Kopf schütteln.
Möglicherweise reicht Energie aus dem nächstgelegenen Staudamm plus Wind, Sonne und Biomasse dann wirklich aus. Geburtenkontroll muss allerdings dafür sorgen, dass die Anzahl der Verbraucher nicht wächst.
Glauben die Menschen in so einer "Anti-Moderne" an exponenziellen Fortschritt? Vermutlich nicht, an seine Stelle tritt eine eher geistige als materielle Höherentwicklung. "Wir leben im goldenen Nachmittag der Menschheit", heißt es dazu in dem Roman "Truillon" von Jack Vance, der in so einer ländlichen Gesellschaft spielt. Die Moderne unserer Tage war für sie vielleicht ein finsteres und chaotischen Zwischen-Stadium, doch die Epochen davor nur trübe Dämmerung.
Ist es das, was dir vorschwebt?
Teile davon - Verzicht auf Autos, Regionalisierung der Grundversorgung, haltbare und dauerhafte Konsumgüter - wären vielleicht sogar in einer Millionenstadt sinnvoll. Etwa in Berlin, was ja in vielem eine Ansammlung von Dörfern und kleineren Städten ist.
Oder wollen die Anti-Moderner in Wirklichkeit nur eine besonders zynische, entfremdete und kranke Moderne. Ein System, wo der materielle Gehalt der Moderne, die Menschenmassen und das Menschenmaterial beibehalten wird, wo der Moderne aber weiter ihr eigener, authentischer "Mythos" verwehrt wird und wo sich die Milliardenmassen weiter unter das geistige Joch orientalischer Viehnomaden beugen müssen. Eben jene postmoderne Barbarei, die ich in meinem letzten Post angedeutet habe.
Man unterlässt jede substanzielle technische und wissenschaftliche Weiterentwicklung. Man nutzt aber auch nicht die oft bitteren Erkenntnisse und Erfahrungen der Moderne und vormoderner Epochen um z. B. eine lebbare Dorfgesellschaft aufzubauen, die sich auch unabhängig von der Weltwirtschaft selbst reproduzieren kann.
Nein, man friert den Wahnsinn für die nächsten 300 Jahre exakt auf dem jetzigen Level ein. Das Öl ist alle? - Es gibt doch Gas, kein Grund, über neue und saubere Energiequellen nachzudenken oder den Energieverbrauch auch durch haltbare Konsumgüter zu reduzieren. Raumfahrt? Natürlich nicht, die Milliardensummen dafür sind beim Spekulieren und dem gegenseitigen Aufkaufen der "Weltkonzerne" doch viel besser angelegt :rolleyes: Wieder Fahrrad und Schusters Rappen? Da sei die Automobilindustrie vor :rolleyes:
Mit Verlaub, aber die postmodernen Prachtexemplarer dieser Sorte Fortschrittskritiker nutzen für sich all ihre materiellen Vorteile bis zum Anschlag. Schließlich haben selbst Grünen-Minister die Vorteile des Dienstwagens entdeckt. Was stört es sie, wenn sich die Moderne, ihres geistigen Gehaltes beraubt, zum Alptraum entwickelt. Schließlich ist daran nicht die Geistlosigkeit Schuld, gelle :rolleyes: und nichts hilft Idioten so sehr dabei, länger zu leben als für die Gesellschaft gut ist, als die Errungenschaften moderner Medizin. Auf die man dann nach dem Arzttermin wieder kräftig schimpfen kann :rolleyes: