Wenn ich besonders finster auf die Welt und die Menschen in ihr blicke, denke ich, dass die Nazis da nur das ausgesprochen und bis zum Exzess praktiziert haben, was doch insgeheim "alle" denken und tun.
Das soll keine Entschuldigung oder auch nur Relativierung der Verbrechen der Nazis sein. Das waren Verbrecher X( ! Doch die Reaktion der Welt auf die Nazis kommt mir immer mehr so vor, als ob sich da die einen Verbrecher scheinheilig über die anderen, ertappten und bloßgestellten Verbrecher echauffieren. Nur nicht mit dem braunen Gelumpe in Zusammenhang gebracht werden. Immer schön auf Distanz zum Österreicher und seinen Spießgesellen gehen, damit die eigenen Leichen im Keller tunlichst in Vergessenheit geraten.
Mir kommen die 12 Jahre Nazi-Barbarei aber manchmal so vor, wie sozusagen eine schnelle und harte und zutiefst böse Demonstration in der Ausübung politischer Macht. Und zwar so, wie sie immer ausgeübt wird, nur halt nicht so exzessiv und im Rückblick quasi demonstrativ wie bei den Nazis.
Was haben Adolf und seine Paladine denn da für Lektionen gegeben?
Lektion 1: Mit einem Gemisch aus abgrundtiefen Lügen und Wahrheiten den Menschen den Kopf zu verdrehen.
Die Nazis hatten aus der Sicht ihrer Zeitgenossen wohl Recht, wenn sie das Elend in der Weimarer Republik anprangerten und auf ihren Wahlplakaten verhärmte Menschen abbildeten. Sie hatten auch Recht, das Gemeinschaftliche zu betonen. Aber alle von ihnen ausgesprochenen Wahrheiten dienten nur dazu, ihre Lügen um so wirksamer zu machen. Einem Demagogen, der zu Recht auf chaotische Zustände hinweist, glaubt man leichter, wenn er unschuldige Menschen als Verantwortliche für das Chaos diffamiert.
Lektion 2: Sich von den wirklich Mächtigen kaufen zu lassen.
Wie auch immer man das Machtgefüge zwischen Staat, NS-Herrschaft und Kapital im Faschismus sehen mag, uns Adolf war zweifellos ein Meister darin, sich bei den Eliten in Gesellschaft und Wirtschaft einzuschleimen. Hat er sie eingeseift oder haben sie ihn benutzt? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, das ändert aber nichts am didaktischen Wert von Lektion 2.
Lektion 3: Eine Fehlentscheidung nach der anderen treffen
Vermutlich werden sich auch Zeitgenossen, die zu Anfang mit dem NS-System sympathisierten, irgendwann gefragt haben: "warum tun die das?" Heile Welt mit KdF, Aufmärschen und HJ hätte vielen Spießerseelen wohl gereicht, auf die härteren Sachen hatten nicht alle unbedingt Lust. Man hatte doch jüdische Mitschüler, war vielleicht mit einer Jüdin verheiratet oder der jüdische Arzt war besser als der Arier, der seine Praxis "übernahm" :rolleyes:
Nach dem Krieg sahen viele Deutsche im NS eine gute Idee, die schlecht umgesetzt wurden. Wobei sie übersahen, dass die schlechte Umsetzung den Kern des Systems ausmachte. Fragt sich natürlich, warum aus Fackelzügen Bücherverbrennungen wurden, warum aus Aufbruchstimmung 1933 der Untergang 1945 :rolleyes:
Lektion 4: Den Menschen die Wahrheit zu verschweigen
Die einzige Wahrheit, welche die Nazis der Welt hätten geben können, war die Einsicht, dass die Welt und die Menschen Scheiße sind. Das wäre vielleicht eine heilsame Schocktherapie gewesen, stände aber im Widerspruch zu Lektion 1 - Propaganda - und Lektion 2 - Anbiedern bei den Mächtigen. Der Nazi trat eben nicht in die Fußstapfen der Nihilisten, welche diese Wahrheit aussprachen. Er verschwieg sie und machte auf Biedermann. Es war halt ein "Lehrgang" der ganz harten Sorte, den viele nicht überleben sollten :rolleyes: - denn wir kommen zu
Lektion 5: In der Maske des Biedermannes Verbrechen begehen
Sind Leute, die offen sagen, dass Welt und Menschen Scheiße sind, eine Gefahr, die über zynische Provokationen und die eine oder andere Schlägerei hinaus geht? In einem Aufsatz über den Nihilismus stand, dass der Nihilist alte Werte hinwegfegt und dadurch Platz für neue Werte schafft. Wer als Nihlist im Spiegel ein Monster erblickt ist darüber so entsetzt, dass er diesem Monster keine Freiheiten über "alles ist Scheiße"-Schreien hinaus gönnt.
Die Nazis haben beim Blick in den Spiegel nur Dutzendgesichter gesehen, keine Monster :rolleyes: Alle waren sie brav und bieder, hatten Familie - braucht es den schönen Schein der Wohlanständigkeit, um zum erfolgreichen Massenmörder zu werden :rolleyes
Hilfreich dabei ist
Lektion 6: Hetzdiskurse
Bei den Nazis waren Opfer ihrer Hetzdiskurse
- politische Gegner
- Juden
- Behinderte
- Homosexuelle
- Sinti und Roma
- die Slawen (Polen und Russen)
Vermutlich hat keine ihrer Opfergruppen 1933 geahnt, was die Nazis mit ihnen vorhatten. Vielleicht wussten damals nicht einmal alle Nazis, was aus den als minderwertig betrachteten Menschen werden würde - nämlich Aschehäufchen.
Stück für Stück wurden Schikanen, diskriminierende Gesetze, Terrormaßnahmen gesteigert. Gewöhnten sich die Opfer an den Terror, wurde die Schraube wieder angezogen. Begriffen die Opfer, was die Täter vorhatten, war es zu spät.
Analog zur Viktimisierung der Opfer die Brutalisierung der Täter. Vermutlich musste der harte Kern der Nazi-Verbrecher auch deshalb den Vernichtungsdiskurs Stück für Stück steigern, weil sonst in den eigenen Reihen zu viele abgesprungen wären.
Lektion 7: Krieg, Eroberung, Ausrottung
Gerade weil die Pläne zur Errichtung eines Mordreiches schon nach 6 Jahren scheiterten, kommen sie mir sozusagen lehrbuchhaft vor. So als ob die Nazis da andere Imperien nachgeahmt hätten, bei der Nachahmung aber so viele Fehler gemacht haben, dass sie jämmerlich scheiterten. Das ist IMHO das Motiv des gesamten "nachholenden Imperialismus" des Deutschen Reiches seit der Zeit um 1900. Die Deutschen sahen, dass die Welt schon aufgeteilt war, da beschlossen sie, ihre Hegemonie in Europa, v. a. Osteuropa zu errichten. Ist bekanntlich gescheitert, doch das führt zu
Lektion 8: Alles wieder vergessen
Ist natürlich ein "interessanter" Lehrgang, bei dem die Teilnehmer einen Sch... nach dem anderen machen, das Leben von Millionen Menschen zerstören und zum Schluss alles wieder vergessen. Am 8. Mai 1945 gab es in Deutschland keine Nazis mehr und die diesbezügliche Amnesie machte einen Besatzungsoffizier so erbittert, dass er einem ehrlichen Ex-Nazi die Hand gegeben hätte.
Ich selbst habe in meiner Jugend viel über das Dritte Reich gelesen und auch mit Zeitzeugen gesprochen. Aber ich kann mich nicht entsinnen, dass einer derjenigen, die nahe beim Regime waren oder sogar zu ihm gehörten, wirklich ehrlich "ausgepackt" hätte. Zur Kultur des Verbreches gehört auch die Kultur des Verschweigens und die Nazis waren in beidem Meister.
Die Welt nun, wo so viele scheinheilig gackern, wenn mal wieder das Reizwort "Nazi" oder "Drittes Reich" fällt, scheint den Nazis aber für ihr Schweigen nicht gram zu sein. Ein Nazi, der hätte auspacken wollen, wäre von dieser Welt vielleicht schneller nach Walhalla befördert worden als dass er einen Verleger für eine aufrichtige Biografie gefunden hätte. Denn diese Welt funktioniert doch politisch genau so, wie es die Nazis vorgeführt haben
- mit einem Gemisch aus Wahrheit und Lügen die Menschen verdummen
- vor den wirklich Mächtigen kuschen
- so lange Fehlentscheidungen treffen, bis das System zusammenbricht
- den Menschen die Wahrheit verschweigen
- als Biedermann Verbrechen begehen
- Hetzdiskurse führen
- Menschen unterjochen
- hinterher alles vergessen
Haben die Nazis der Welt da den Spiegel vorgehalten und ist die Welt deshalb so böse auf sie :rolleyes: ?