Der christlichen Bevölkerung auf dem Balkan etwa sind Minarette ein Ärgernis, ja Hassobjekt, weil sie die jahrhundertelange brutale Unterdrückung durch die türkischen Osmanen symbolisieren. Diese richteten ihre Minarette überall auf, wo sie an die Macht kamen. Nachdem Mehmet II. 1453 Konstantinopel genommen hatte, befahl er sofort, der uralten Kirche Hagia Sophia ein Minarett beizufügen.
«Eine Art Siegesturm» nannte die deutsche Orientalistin Annemarie Schimmel, eigentlich eine Islamschwärmerin, das Minarett sehr unsentimental. «Das sichtbare Zeichen der Gegenwart des Islam in einem neu eroberten Gebiet.»
Warum überhaupt der auffallende Drang der Schweizer Muslime in letzter Zeit, ihr Gebetslokal mit einem Minarett auszustatten? Der Ostschweizer Arzt Hisham Maizar, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz, nennt als Hauptgrund die Demografie. In den letzten anderthalb Jahrzehnten habe sich die Zahl hiesiger Muslime, vor allem wegen des kriegsbedingten Zustroms von Leuten aus Ex-Jugoslawien, auf gut 350000 verdoppelt. «Mittlerweile haben wir eine zweite Generation.
Und die Scharfmacher der Gegenwart denken durchaus in diesen alten Kategorien – und kombinieren sie agil mit neuzeitlichen Ideen; in den neunziger Jahren löste der damalige
Bürgermeister von Istanbul und heutige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einen Skandal aus, als er öffentlich inbrünstig ein Gedicht des Türkentum-Ideologen Ziya Gökalp rezitierte:
«Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Kuppeln unsere Helme, die Minarette unser Bajonette und die Gläubigen unsere Soldaten.»
Das Minarett, vertikale Manifestation des Islam, soll in der muslimisch geprägten Stadt alle anderen Bauwerke überragen. Insbesondere die der Konkurrenzreligion Christentum – sofern Kirchen überhaupt zugelassen sind, denn Saudi-Arabien zum Beispiel duldet keine Häuser fremder Religionen und hat alle Spuren des Christentums getilgt.
Mit dem Minarett visualisiert sich der Islam als starke Kraft. Manchmal auch als aggressive Kraft: Das Minarett sei an vielen Orten Afrikas, lange bevor die christlichen Sklavenhändler kamen, ein Symbol der Unterdrückung gewesen, eine Manifestation des arabischen Kolonialismus, hat der renommierte Nahost-Historiker Efraim Karsh in seinem Buch «Islamic Imperialism» vorgeführt.
Das Minarett (arabisch: manara) tritt bleistiftdünn in der Türkei auf, Campanile-artig in Nordafrika, spiralig im Irak. Im Koran, der Grundlage allen islamischen Tuns, ist es nicht wörtlich erwähnt – was letztlich heisst: Es ist kein wirklich unabdingbarer Bestandteil des Islam.
Minarette dokumentierten in den nächsten Jahrhunderten die islamische Expansion und prägen heute Metropolen [...]
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