Schlimmer als unter Saddam Hussein
Assyrische Christen hoffen, dass man sich in der Europäischen Union endlich ihrer Situation annimmt/Schutzzonen gefordert
Vom 10.08.2007
Von
Manfred Gerber
WIESBADEN Rund 900 assyrische Familien, über 3000 Personen, leben in Wiesbaden. Es sind Christen, die im Irak, in Syrien und in der Türkei verfolgt und weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit umgebracht werden. Dagegen wollen sich die Exil-Assyrer wehren.
In Wiesbaden sind sie anerkannt wegen ihrer Tüchtigkeit und ihrer Bereitschaft zur Integration, auch sprechen sie ausgezeichnet Deutsch. Das Leiden ihrer Mitbürger zu Hause im Mittleren Osten, klagen sie, wird in Deutschland aber kaum wahrgenommen. Assyrische Kirchen werden zerstört, neue dürfen nicht gebaut werden. Assyrer im Irak unterliegen Schutzgelderpressungen und müssen eine Schutzsteuer, die Djizja, zahlen, um Christen bleiben zu dürfen. Ihre Kinder und Priester werden entführt, Frauen vergewaltigt, Lösegeld wird erpresst. Die Assyrer gehören zu den ältesten Christen überhaupt. Sie sprechen Aramäisch, die Sprache Jesu Christi.
Der Einmarsch der US-Truppen im Irak im Jahr 2003 hat ihre Lage dramatisch verschlechtert. Vorher lebten dort 1,2 Millionen Assyrer, inzwischen seien es noch knapp eine Million, sagt jedenfalls Alkan Sabri (41), der Vorsitzende der Assyrisch-Demokratischen Organisation (ADO). Ihre tatsächliche Zahl wird nirgendwo erfasst, kann nur geschätzt werden.
Viele Assyrer sind geflüchtet, andere zwangskonvertiert. Wie viele von fanatischen Moslems umgebracht worden sind, hat keiner gezählt. "In den Weltnachrichten kommt das nicht vor", sagt der CDU-Politiker Peter Riedle, der die Assyrer seit seiner Zeit als Rektor der Adalbert-Stifter-Schule unterstützt. Die Zahl der Assyrer in der Osttürkei, sagt Alkan Sabri, sei durch Fluchtbewegungen von 200000 auf 2500 geschrumpft. Den 1,8 Millionen Assyrern in Syrien gehe es noch relativ am besten, berichtet Karim Chamoun (35), der aus Syrien nach Wiesbaden geflüchtet ist.
Die Assyrer gehören meist der syrisch-orthodoxen, aber auch der Alten Kirche des Ostens oder der chaldäischen an, die sich 1552 abgespalten hat und den römischen Papst anerkennt. Die Assyrer sind aber nicht nur religiös, sondern auch kulturell und ethnisch ein eigenständiges Volk. Im Irak dürfen sie seit dem Einmarsch der Amerikaner in ihrer eigenen Sprache, Aramäisch, unterrichten, weitere Rechte sind in der Verfassung aber nicht verbrieft. Und vor Verfolgung und gewaltsamen Übergriffen der muslimischen Mehrheit schützen die aramäischen Schulen nicht. An der Regierung in Bagdad sind die Assyrer nicht beteiligt. Es dürfen allerdings aramäische Zeitungen erscheinen. In der Türkei sei das undenkbar.
In Europa kümmert sich kaum einer um die Nöte der christlichen Glaubensbrüder, die sich auch jenseits der Religion westlichen Werten verpflichtet fühlen. Allein durch die christliche Kultur des Verzeihens und Versöhnens, sagt Alkan Sabri. Sie sehen sich aber auch als Demokraten und haben gegen die Kriegspläne des US-Präsidenten George W. Bush protestiert. Dass aber die US-Truppen in der gegenwärtigen Situation abziehen, wollen sie auch nicht. "Dann bringen sich alle gegenseitig um", sagt Khalid Sabo (45). Die sich zuspitzende Situation erinnere an den Genozid der Türken an den Armeniern, Assyrern und Pontos-Griechen im Jahr 1915. Damals seien 500000 Assyrer kaltblütig umgebracht, deportiert und zwangsislamisiert worden.
Was allen drei Gesprächspartnern im Kurier vorschwebt, ist eine Schutzzone für Assyrer im Nordwesten des Irak, in der Ninive-Ebene, ein Gebiet, das etwa halb so groß wie der Libanon ist. In diese Ebene sind schon eine ganze Menge Verfolgter geflüchtet. Alkan Sabri will als nächstes darauf hinarbeiten, dass sich das Europäische Parlament mit der Verfolgung der Assyrer befasst und darauf hinwirkt, dass die UNO eine assyrische Schutzzone einrichtet.
In alle Welt hat es die verfolgten Assyrer zerstreut, viele sind nach Australien oder in die USA ausgewandert. Tausende befinden sich in Flüchtlingslagern in Jordanien und Syrien. Aber auch dort werden sie vom Westen vernachlässigt, während die Moslems Unterstützung aus dem Iran oder aus Saudi-Arabien bekommen. Angenehm, sagt Alkan Sabri, war es im Irak auch unter Saddam Hussein nicht. Aber der Krieg der Amerikaner habe die Lage nur verschlimmert. Paradoxerweise war es ein bekennender Christ, der US-Präsident, der die Christen im Irak in eine bedrohliche Lage manövriert hat. Die Islamisierung schreitet weiter voran und an ein friedliches Zusammenleben sei nicht zu denken, sagen die drei Iraker.
"Wir wollen in unserem Land leben", sagen die drei Exil-Assyrer. Aber dazu müsse sich der Westen endlich um das Problem kümmern und eine assyrische Schutzzone einrichten. In einem Flugblatt heißt es: "Setzen Sie sich dafür ein, dass das Christentum im Irak eine Überlebenschance hat."