Es wird immer wieder von Gegnern des
Vertrags von Lissabon behauptet, durch den Vertrag würde die Todesstrafe wieder eingeführt werden. Wenn Prof. Schachtschneider sagt, dass es so ist, dann kann dies nun einmal auch nicht der Unwahrheit entsprechen, na klar. Er behauptet sogar - und ja, das ist geradezu dramatisch -, Art. 102 GG würde durch den Vertrag aufgehoben! Und zwar durch die 12. Erklärung! Oha!
Dabei bezieht er sich auf die Schlussakte A des Verfassungsvertrags (jetzt: Erläuterungen). Allerdings gibt es auch noch Protokoll Nr. 13 zur EMRK.
In der EU-Grundrechtecharta steht Artikel 2 Absatz 2:
Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.
In Artikel 19 Absatz 2 steht außerdem:
Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.
Es stand im 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 28. April 1983 zwar in Artikel 2 Satz 1 [Todesstrafe in Kriegszeiten]:
Ein Staat kann durch Gesetz die Todesstrafe für Taten vorsehen, welche in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden.
Dies wurde jedoch durch das Protokoll Nr. 13 vom 3. Mai 2002, das für Deutschland am 1. Februar 2005 in Kraft getreten ist, abgeändert, da die Unterzeichner des Protokolls sich entschlossen haben, mit diesem “
den letzten Schritt zu tun, um die Todesstrafe vollständig abzuschaffen“, wie es in der Präambel lautet. Laut Artikel 2 des Protokolls ist auch ein Abweichen nach Artikel 15 der Konvention nicht erlaubt, was heißt, dass selbst im Notstandsfall keine Ausnahme vom Verbot gilt. Vorbehalte nach Artikel 57 der Konvention sind unzulässig.
EU-Mitgliedstaaten, die Protokoll Nr. 13 zwar schon unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben, sind Italien, Lettland, Polen und Spanien. Für sie gilt tatsächlich Protokoll Nr. 6 weiter, da sie es ratifiziert haben, was heißt, dass in diesen EU-Mitgliedstaaten - allerdings auch nur dort - die Todesstrafe noch nicht ausnahmslos abgeschafft ist. Wenn die Staaten sich denn dazu entscheiden, eines Tages Protokoll Nr. 13 zu ratifizieren, wird auch dort die Todesstrafe ausnahmslos abgeschafft sein. Eine Wiedereinführung durch einen EU-Vertrag ist jedenfalls nicht vorgesehen. Für die meisten Mitgliedstaaten gilt jetzt Protokoll Nr. 13 und nicht mehr Protokoll Nr. 6.
Artikel 2 Absatz 2 der EMRK gilt jedoch weiterhin fort, da die dort genannten Tötungsfälle schon gar nicht als “Strafen” zu werten sind, sondern wie die Vollstreckung der Todesstrafe selbst Tötungsursachen sind, die allerdings bei Gewaltanwendung
unabsichtlich zum Tod führen, und die Zusatzprotokolle zur EMRK sowie Artikel 2 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta sich ausschließlich auf die Todesstrafe als eine Form der absichtlichen Tötung beziehen.
Im Übrigen steht in den Erläuterungen zur EU-Grundrechtecharta: