Ideen verbreiten sich unter Türkischstämmigen
"Frei vagabundierender Nationalismus"
Eine neue Form von unorganisiertem, radikalem Nationalismus droht unter Türkischstämmigen in NRW um sich zu greifen.
Davor warnen nun neben zahlreichen Opfergruppen auch das Zentrum für Türkeistudien und der NRW-Verfassungsschutz.
Lange Zeit galt rechtsextremes und rassistisches Gedankengut unter Türkischstämmigen hierzulande als zu vernachlässsigende Grösse. Radikaler Nationalismus war nur in den sogenannten Idealistenvereinen verbreitet. Und weil diese Ableger der türk. Rechtsextremen ("Graue Wölfe") in NRW nur etwa 2000 Mitglieder zählen, waren die Sorgen der Sicherheitsexperten bislang nicht allzu grosss.
Doch das droht sich nun zu ändern - nach dem Mord an dem armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink durch einen türkischen Nationalisten in Istanbul.
Vor allem Vertreter der armenischen, kurdischen und alevitischen Minderheit in NRW beklagen nun zunehmende Drohungen durch rechtsextreme Türkischstämmige.
In der vergangenen Woche hatten diese Gruppen, die auch in der Türkei Minderheiten stellen, in zahlreichen Grossstädten in NRW Gedenkveranstaltungen für den getöteten Hrant Dink durchgeführt.
Am Telefon oder auf der Strasse wurden sie daraufhin von Türkischstämmigen als Volksverräter beschimpft, teilweise wurde ihnen mit Mord gedroht, weil sie die türkische Nation beschmutzt und die nationale Einheit gefährdet hätten.
Auch Faruk Sen, der Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien, warnt vor radikalen und minderheitenfeindlichen Tendenzen unter den Türkischstämmigen hierzulande. Diese Tendenzen drohten im Zuge einer "alarmierenden nationalistischen Welle in der Türkei" auch nach Deutschland überzuschwappen.
Dies resultiere aber nicht aus der Überzeugungsarbeit einzelner Organisationen, etwa der "Grauen Wölfe". Vielmehr lasse sich hier ein frei vagabundierender Nationalismus" beobachten, der sich zumal über das Internet, aber auch über Kinofilme wie "Im Tal der Wölfe" verbreite und nicht organisiert sei.
Eine ähnliche Entwicklung sei auch in der Türkei zu erkennen.
In diese Richtung geht auch die Eischätzung des NRW-Verfassungsschutzes.
Bei den letzten Fällen von antisemitischer und rassistischer Propaganda durch Türkischstämmige, etwa im vergangenen Jahr an mehreren Kölner Schulen, sei keine personelle Verbindung zu den "Grauen Wölfen" feststellbar gewesen.
Einige Gedanken aus deren Ideologie hätten offenbar die engen Grenzen des organisierten Rechtsextremismus verlassen - was laut Sprecherin Dagmar Pelzer eine "alamrmierende Entwicklung für die gesamte Gesellschaft" darstelle.
Der deutsche Ableger der "Grauen Wölfe" wurde 1978 in Frankfurt gegründet.
Inzwischen haben sich die Nationalisten in zwei Gruppen aufgeteilt:
in die Konföderation der idealistischen Türken (AÜTDK)
und in die gemässigteren Nationalisten (ATIB), die zugleich ihre islamische Identität betonen.
Zumindest im Umfeld der Idealistenvereine wird noch immer ein aggressives Gedankengemisch verbreitet, das Liberale, Juden, Freimaureer, Amerikaner, Armenier,Aleviten und Kurden zu einem grossen Feindbild vereint.
Im gegenüber steht das Ideal des rassisch reinen Türkentums, das es zu schützen gelte.
Till-R. Stoldt
Welt am Sonntag, 28.01.2007
Aufruf insbesondere an unsere Türkischstämmigen User sich zu bekennen bzw. zu distanzieren.