Amerika wird doch noch gebraucht
Vor den Zwischenwahlen herrscht in den Vereinigten Staaten Verunsicherung: Die Vormacht der Amerikaner auf dem Globus scheint zu bröckeln. Einige Europäer sehen schon eine "multipolare Welt" voraus. Die wäre jedoch ein Albtraum.
Von Richard Herzinger
Die Supermacht wirkt angeschlagen. Im Irak will es der US-Armee und den von ihr ausgebildeten irakischen Sicherheitskräften einfach nicht gelingen, die eskalierende Gewalt unter Kontrolle zu bringen. Ein Geheimpapier der US-Armee, das diese Woche bekannt wurde, sieht das Land, das im Eilverfahren zur arabischen Musterdemokratie ausgebaut werden sollte, kurz vor dem Absturz ins Chaos. Hohe Verluste - im Oktober fielen dort 101 US-Soldaten - haben die Stimmung in den Vereinigten Staaten gegen den Krieg umschlagen lassen.
Die blutige Misere im Irak war das beherrschende Thema vor der am Dienstag anstehenden Wahl zum Repräsentantenhaus und könnte den Republikanern ihre Mehrheit im Kongress kosten.
Nordkoreas Atomtest hat dem Nimbus der übermächtigen USA einen weiteren Schlag versetzt: Die Nuklearbewaffnung von "Schurkenstaaten" scheint kaum noch aufzuhalten zu sein. Auch Iran wird sich nur noch sehr schwer von seinen Atombewaffnungsplänen abbringen lassen. Über seine Hilfstruppen wie die Hisbollah im Libanon weitet das Regime in Teheran seinen Einfluss im Nahen Osten bedrohlich aus. Westliche Geheimdienstberichte sprechen von Bestrebungen des Iran, die libanesische Regierung zu stürzen und ein von der Hisbollah dominiertes Regime einzusetzen.
In Palästina rüstet der Iran die radikalislamische Hamas auf. Das Land selbst protzt mit Tests von Mittelstreckenraketen. Auch in Afghanistan hat der Iran den Finger am Drücker. Er verfügt über alle Verbindungen, um bei Bedarf einen Aufstand anzufachen. Sollte der Iran wegen seines Atomprogramms angegriffen werden, kann er sie jederzeit aktivieren.
Auch in anderen Weltregionen wird die Autorität der Vereinigten Staaten von neuen Herausforderern angekratzt. Den USA gelang es nicht, ihren Kandidaten Guatemala als lateinamerikanisches Mitglied im UN-Sicherheitsrat durchzusetzen. Venezuelas populistischer Präsident Hugo Chávez konnte so viele Gegenstimmen mobilisieren, dass eine ausreichende Mehrheit blockiert wurde und die USA den Kompromisskandidaten Panama akzeptieren mussten.