Es ist ein dreister Propagandaschlag, eine kaum zu überbietende Provokation für die irakischen Sicherheitskräfte und die US-geführte Kriegsallianz: ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Anführers Abu Musab Al-Sarkawi hat die irakische al-Qaida heute einen "islamischen Staat" ausgerufen.

Die entsprechende Erklärung im Namen des "Ratgebergremiums der Mudschahidin", einem Terrorgruppen-Dachverband unter Führung der al-Qaida, wurde heute auf der einschlägigen und für solche Publikation bekannten Dschihad-Website veröffentlicht; sie liegt SPIEGEL ONLINE vor. Darin heißt es: "Die Mudschahidin im Irak geben allen Muslimen an allen Orten der Welt und den Sunniten im Irak im Besonderen die frohe Kunde bekannt, dass ein islamischer Staat ausgerufen wird". Dazu ist die Ansprache eines "offiziellen Sprechers" dieses "Staates" verlinkt.

Bombenanschlag in Bagdad: "Islamischer Staat" wird eher virtuell sein
Dass die Dschihadisten im Irak mit dem Gedanken spielten, einen wie auch immer gearteten Staat auszurufen, ist nicht neu. Wohl aber, dass sie bereits heute der Ansicht sind, dass dieses Unterfangen sich lohnt. Denn der heute verkündete Schritt bedeutet: Al-Qaida & Co im Irak glauben, dass keine andere Kraft, nicht die einheimischen Sicherheitskräfte und nicht die US-Armee, ihnen diesen Staat sofort zerstören können.

Allerdings ist wohl davon auszugehen, dass der "islamische Staat" eher virtuell sein wird. Zwar benennen seine Ausrufer insgesamt sechs irakische Provinzen, die er umfassen soll - faktisch aber sind diese Gebiete keineswegs unter Kontrolle der Dschihadisten. Der "Staat" ist also eine Behauptung, eine Absichtsbekundung, ein Propagandainstrument - aber ein ernst zu nehmendes. So werden etwa die Muslime in der Welt aufgerufen, "Geld und Männer" in den Irak zu schicken. Nicht auszuschließen, dass auf der Kippe stehende potenzielle Rekruten jetzt den letzten Anstoß verspüren, in den Kampf zu ziehen.

Internationale Gemeinschaft wird Schwächung nicht dulden

Vorbild der irakischen Gotteskrieger ist dabei das Taliban-Regime in Afghanistan. Auch hier erklärte eine islamistische Gruppe einfach einen eigenen Staat - mit dem Unterschied freilich, dass in jenem Fall die Besatzer, also die Sowjetunion, bereits abgezogen war, und es keine internationale Präsenz am Hindukusch gab. Die Taliban mussten sich allein gegen andere Afghanen durchsetzen, nicht aber gegen ausländische Soldaten. Anders als in Afghanistan wird die internationale Gemeinschaft eine ernsthafte Schwächung des neuen, demokratisch legitimierten irakischen Staates nicht dulden.

Auf der anderen Seite entbehrt der heute verkündete Schritt nicht einer gewissen - wenn auch zynischen - Logik. Denn militante Islamisten teilen miteinander die Überzeugung, dass die islamischen Staaten nicht legitim sind. Deren Herrscher, so die Vorstellung, sind keine wahren Gläubigen. Militante Islamisten streben deshalb einen einzigen islamischen Superstaat an, der die gesamte islamische Welt von Marokko bis nach China umfasst, am besten unter Führung eines Kalifen - eines "Nachfolgers" des Propheten Muhammad als weltlicher und geistlicher Führer.

Mit größeren US-Operationen ist zu rechnen

Der jetzt im Irak ausgerufene "islamische Staat" ist wohl als Teil solcher Bestrebungen zu verstehen, eine eigene staatliche Ordnung zu etablieren. Schon sehr häufig in der islamischen Geschichte haben radikale Außenseiter zu diesem Mittel gegriffen, weil sie als Untertanen Ungläubiger um ihr Seelenheil fürchteten. Es werde allein Gottes Recht gelten, verkündete denn auch al-Qaida heute.

Allerdings hat die irakische al-Qaida nicht etwa ein Kalifat ausgerufen, ja nicht einmal ein Emirat - sondern lediglich die in islamistischen Augen am wenigsten anzustrebende Form, einen einfachen "Staat" eben. Ob damit signalisiert werden soll, dass es noch zu früh ist für die Einsetzung eines Emirs oder Kalifen, oder dass man den Taliban-Führer Mullah Omar als Oberhaupt akzeptiert, blieb heute erst einmal unklar. Die Anhänger werden aber erwarten, dass die "Staatsgründer" sich dazu noch genauer erklären.

Noch ist vollkommen offen, wie genau die Ausrufung gemeint ist. Rechnen aber müssen al-Qaida & Co. im Irak nun damit, dass irakische und US-Kräfte mit allen Mitteln gegen sie vorgehen werden - größere Operationen dürfen in den kommenden Tagen erwartet werden.
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Eine sehr kluge Entscheidung des Widerstands. Jetzt sind die Iraker gezwungen sich zu entscheiden. Entweder für den sakulären Staat auf Basis amerikanischer Bayonette oder für einen islamischen Staat auf Basis des Korans.

Wie ich meine, ist das ein neuer Sargnagel für die amerikanische Besatzungsmacht.