Einführende Erklärung:
In dieser Reihe sollen die tatsächlichen und virtuellen Kriegswenden besprochen werden.
Jedes Thema beschäftigt sich mit einer Wende.
Beginnen möchte ich mit der Zeit zwischen Frankreich und Balkan, dem Hochsommer 1940 (Dünkirchen hat hier nichts verloren).
Weitere Folgen werden in unregelmäßigen Abständen erfolgen, sofern Interesse besteht.
Kriegswenden:
Teil 1, 1940/41
Zwischen dem Fall Frankreichs und den Balkanfeldzügen verstrich fast ein Jahr, in dem nicht viel geschah. Da die Zeit unweigerlich gegen Deutschland spielen musste, kann man von einem Jahr verschenkter Möglichkeiten sprechen.
Es war nur noch ein unmittelbarer Gegner übrig, sowie zwei sich am Horizont abzeichnende (USA, Russland).
Man hatte nun ein Jahr Zeit, den Krieg siegreich abzuschließen.
Welche Möglichkeiten boten sich an und wie sind sie zu bewerten?
1. Option:
Invasion Englands.
Das wirkungsvollste, aber gleichzeitig riskanteste Mittel. Mangel an Schiffsraum und zeitliche Einschränkung (20. September als letztes mögliches Datum, aufgrund des Wetters).
39 Divisionen standen zur Verfügung (eine hohe Zahl aufgrund des eingegrenzten Landeraums, wobei die Zahl der bei Dünkirchen evakuierten alliierten Soldaten in Betracht gezogen werden muss).
Grundvoraussetzung: Erringen der Lufthoheit.
Diese wurde verschenkt durch Görings Umstellung von taktischem (Radaranlagen und Flugplätze) auf strategisches (Flächenbombardements gegen Städte, zu einem Zeitpunkt als die R.A.F. kurz vor dem Ende war).
Eine virtuelle Kriegswende erfolgte diesbezüglich bereits vor Kriegsbeginn, als man es versäumte eine Invasionsflotte und eine schlagkräftige Luftwaffe aufzubauen.
Letztere zeigte deutliche Mängel im defensiven (Abfangjäger), wie im offensiven Potenzial (einseitige Verteilung zugunsten der direkten Luftunterstützung [Stuka] und taktischen Bomber, bei völliger Vernachlässigung der strategischen Bomberwaffe inkl. Langstreckenjäger).
Die virtuelle Kriegswende ist bereits im Jahr 1939 anzusiedeln, als England etwa 50 % mehr Jagdflugzeuge produzierte als Deutschland.
2. Option:
Strategischer Luftkrieg mit dem Ziel, Englands Wirtschaft (Rüstung und Ernährungsbasis) entscheidend zu schädigen und somit das Land kapitulationsreif zu bomben.
Nicht zuletzt aufgrund der Schwäche der deutschen Bomberwaffe, konnte diese Option allein keine Entscheidung bringen.
Als Ergänzung jedoch denkbar.
3. Option:
Zufuhrkrieg, Belagerung Englands zur See.
Zusammenarbeit der U-Bootwaffe, Fernaufklärer und Bomber.
Prominentester Befürworter: Dönitz (der 300 U-Boote forderte, 100 im Einsatz, 100 in Wartung, 100 in Ausbildung).
In der Realität sah es jedoch wie folgt aus.
Zahl der Frontboote:
Herbst 1940, 12-14
Februar 1941, 22
Im Oktober 1940 konnte eine Rekordzahl von 352.407 BRT versenkt werden.
Um die Belagerung erfolgreich abzuschließen waren jedoch nach Ansicht Raeders 1 Mio. Tonnen monatlich nötig.
4. Option:
Verlagerung auf den Mittelmeerraum.
- Sicherung des "weichen Unterleibes Europas" (Churchill).
- Tor zu den Ölfeldern im Mittleren Osten.
Raeder betrachtete in dieser Option eine kriegsentscheidende Strategie.
Das OKW, v.a. Jodl, maß dieser Option hingegen nur eine Zwischenlösung bei.
Zu diesem Zeitpunkt herrschte etwa eine 3:1 Überlegenheit italienischer Truppen gegenüber den Engländern. Kaum der Rede wert, daß man mit Unterstützung der Wehrmacht den Sack zugemacht hätte und sich Kreta und Option auf Malta, sowie den Verlust des gesamten Afrika-Korps ersparen können.
Bedingung: Schneller Abschluß der Kampagne, um die ganzen Kräfte auf den erwarteten sowjetischen Angriff 1941 lenken zu können.
5. Option:
Herstellung eine europäisch-asiatischen "Kontinentalblocks" unter Einschließung der Sowjetunion und Japans gegen England und USA.
Diese Option gewann in der deutschen Führung einige Bedeutung (v.a. nach der Niederlage in der Luftschlacht um England).
Aufgrund der schwankenden und unsicheren Einstellung der Sowjetunion, kann die Option jedoch höchstens als Zwischenlösung gelten.
Aus heutiger Sicht scheidet diese Option bekanntlich völlig aus, der sowjetische Angriff im Sommer 1941 bereits vom Stavka beschlossen war und diesbezüglich mehrere Pläne ausgearbeitet worden sind.
Die Haltung der USA war das Hauptproblem Hitlers im Sommer 1940.
Die Neutralität der USA wurde immer fragwürdiger aufgrund der immer aggressiveren Politik Roosevelts (u.a. ständige Erweiterung der Schutzzone für Frachter im Atlantik, Zerstörer gegen Basen, offene Hilfslieferungen an England...).
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Welche der Optionen haltet Ihr für die erfolgversprechendste im Sommer 1940? Es geht lediglich um das zweite Halbjahr 1940 und das frühe 1941, keine weiterführenden Diskussion erwünscht.
Bitte versucht die Optionen aus heutiger UND aus damaliger Sicht zu beurteilen. Vieles was wir heute wissen, war damals noch nicht abzusehen.