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Thema: Islam oder Demokratie

  1. #61
    A.D. Benutzerbild von Siran
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    Nun, du hast in sofern recht, dass der einzige demokratisch, islamisch geprägte Staat, die Türkei ist. Allerdings versucht die ja Staat und Islam zu trennen, was viele Muslime wohl auch nicht als die richtige Position erachten, da dies dem Islam widerspricht.
    Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.
    (George Bernard Shaw)

    Die Demokratie setzt die Vernunft des Volkes voraus, die sie erst hervorbringen soll.
    (Karl Jaspers)

    Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, daß es der Milchmann ist, dann weiß ich, daß ich in einer Demokratie lebe.
    (Winston Churchill)

  2. #62
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    Original von Siran
    Nun, du hast in sofern recht, dass der einzige demokratisch, islamisch geprägte Staat, die Türkei ist. Allerdings versucht die ja Staat und Islam zu trennen, was viele Muslime wohl auch nicht als die richtige Position erachten, da dies dem Islam widerspricht.
    Hi,

    das Phänomen das Kultur und Religion einander bedingen und desshalb eine Religion in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich interpretiert wird ist ja auch vom Katholizismus bekannt. Einem Westeuropäer dürfte z.B. die in Südamerika praktizierte Form des Katholizismus sehr fremd und bigott vorkommen wohingegen ein Südamerikaner vermultich den Katholizismus hierzulande als völlig "weichgespült" wahrnehmen würde. Und dass bei der gleichen, die religösen Dogmen ausarbeitenden Amtskirche...

    sparty2

  3. #63
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    Ja, natürlich, dass sich Kultur und Religion gegenseitig beeinflussen ist klar. Aber es ging ja eigentlich nicht einfach um die Kultur, sondern um das Staatssystem, bzw. um die Wechselbeziehungen Religion Staatssystem.
    Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.
    (George Bernard Shaw)

    Die Demokratie setzt die Vernunft des Volkes voraus, die sie erst hervorbringen soll.
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  4. #64
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    Original von Siran
    Wechselbeziehungen Religion Staatssystem.
    Ursprünglich waren sich Christentum und Islam in der Frage des Spannungsfelds Religion <-> Staat recht gleich. Die christliche Vorstellung des "Reich Gottes" war ursprünglich sehr real auf diese Welt bezogen. Durch die Wandlung zur Staatsreligion in Europa wurde diese Vorstellung aufgegeben und das "Reich Gottes" zugunsten des "Herrschers von Gottes Gnaden" und dem bereits exisitierenden römischen Rechtssystem ins transzendente Jenseits entrückt. Der Islam brachte im Verlauf seiner Expansion den Staat und die Rechtsordnung gleich mit und ersetzte die lokalen Staatssysteme.
    Die moderne Form der westlichen Demokratie entstand im 17. und 18. Jhd. vor allem im Spannungsfeld der wohlhabenden bürgerlichen Stände und dem Landesfürsten bzw. König die jeweils vor allem in finanzieller Hinsicht sehr unterschiedliche Auffassungen hatten... (sehr grob vereinfacht)
    Der arabisch-islamische Kulturkreis weist keine entsprechende Entwicklung auf (den Grund dafür kenne ich nicht) sondern blieb in dieser Hinsicht relativ statisch. Auch hier zeigt das Beispiel der Türkei dass ein solcher Prozess in Verbindung mit einer erstarkenden Mittelschicht sehr schnell nachgeholt werden kann.
    Trotzdem kennen auch Teile des Islam eine veränderliche Rechtsordnung (Vorsicht, jetzt wirds sehr theoretisch):

    Flexibilität in der islamischen Rechtsmethodik
    Anmerkungen zur aktuellen Debatte um
    Fundamentalismus und Modernismus in der islamischen Welt

    Al-Fadschr Nr. 87, Seite 36

    Dieser Beitrag befaßt sich mit der Frage der Methodik und den Grenzen des Ijtihad (Rechtsfindung). Die islamische Welt wird derzeit in Bezug auf die Rechtswissenschaft mit zwei Extremen konfrontiert. Einerseits gibt es eine Bewegung, die das islamische Recht formalistisch und starr auffaßt und zu einer Orientierung am äußeren Wortlaut der Nusus neigt, andererseits existiert eine säkularistische Strömung, die das islamische Recht abschaffen möchte. Der Säkularismus ist eine relativ neue Strömung in der islamischen Welt, während die formalistische und starre Betrachtungsweise des Rechts schon im dritten Jahrhundert nach der Hijra erste Vertreter gefunden hat.

    Der Säkularismus ist häufig mit dem Nationalismus verbunden. Der Qur´an verwirft aber den Nationalismus. Weil der Nationalismus also mit dem Qur´an unvereinbar ist, ist es klar, daß Nationalisten sich nur einen Islam wünschen, der sich ihrer eigentlichen Religion, dem Nationalismus, anpaßt. Sofern Nationalisten den Islam nicht ohnehin ganz abschaffen wollen, betrachten sie den Islam als ein kulturelles Anhängsel ihrer Nationalkultur. Das islamische Recht muß daher aus ihrer Sicht abgeschafft werden, um einen nationalen Islam (ein Widerspruch in sich!) schaffen zu können.

    Es gibt auch Säkularismus, der nicht nationalistisch ist. Bekanntester Vertreter in Deutschland ist wohl Bassam Tibi. Auch hier ist es so, daß die Säkularisten einen anderen Maßstab haben, als den Islam. Bei Tibi ist der Maßstab der Westen. Die westliche Wertordnung entscheidet bei ihm, wieviel vom Islam noch gültig ist.

    Säkularisten verwenden den Begriff Ijtihad daher im Sinne der beliebigen Verformbarkeit der Religion. Kennzeichen des Säkularismus ist, daß nicht der Islam den Maßstab darstellt, sondern der Islam gemäß einem anderen Maßstab, der die eigentliche Norm für den Säkularisten darstellt, umgeformt werden soll. Die Säkularisten sprechen von der Notwendigkeit einer Reform oder zeitgemäßen Interpretation des Islam. In Wirklichkeit meinen sie eine Verformung des Islam gemäß ihren eigentlichen Wertmaßstäben. Die Begriffe "Reform" und "zeitgemäße Interpretation" sind daher unter Muslimen in Verruf geraten. Der erstarkende Säkularismus in der islamischen Welt hat auch dazu geführt, daß als Gegenbewegung Strömungen entstanden sind, die den Islam starr und unflexibel verstehen.

    Die entgegengesetzte Strömung, welche Qur´an und Sunna sehr eng und unflexibel versteht, ist allerdings wesentlich älter und existiert nicht erst seit es den Säkularismus gibt, um eine Gegenströmung dazu zu bilden. Der Säkularismus ist nur ein Faktor unter mehreren, der heutzutage die Erstarkung unflexibler und formalistischer Betrachtungsweisen fördert. Es gibt diese Strömung sowohl im Sunnitentum als auch in der Shia. Im Sunnitentum war die Dhahiriya die extremste formalistische Strömung. Sie ist heute offiziell nicht mehr existent, aber Ibn Hazm al-Andalusi, ihr berühmtester Vertreter, wird auch heute noch gern gelesen und die dhahiritische Methodik hat noch Einfluß auf zumindest manche Anhänger der Salafiya. In der Shia war es die Akhbariya innerhalb der Imamiya, insbesondere in der Form, wie sie sich unter al-Astarabadi entwickelte, welche einen extremen Formalismus hervorbrachte. Die Akhbariya war und ist eine kleine Minderheit in der Imamiya, aber ihr Denken hat immer auch Teile der Usuliyun beeinflußt.

    Weder starrer Formalismus noch Säkularismus sind islamisch. Das islamische Recht ist flexibel und diese Flexibilität ist im Qur´an selbst begründet. Die Flexibilität des islamischen Rechts hat daher aber auch durch den Qur´an gesetzte Grenzen. Der Qur´an macht deutlich, daß es zeitliche und überzeitliche Normen gibt. Gebet, Fasten, Pilgerfahrt, Sozialabgabe, das Verbot von Ehebruch, Mord und Diebstahl beispielsweise sind Normen, die Allah durch alle Propheten zu allen Zeiten angeordnet hat. Andererseits wissen wir durch die Sunna des Propheten (salla´llahu alaihi wa Alihi wa sallam), daß der Prophet selbst bei Vorliegen gewisser Umstände von Regelungen des Qur´an abgewichen ist. Auch in der Frühzeit des Islam ist die Dynamik des islamischen Rechts unumstritten gewesen.

    Der Ijtihad hat somit folgende Funktionen:

    Durch den Ijtihad wird immer wieder von neuem das Recht direkt aus Qur´an und Sunna abgeleitet. Durch diesen Prozeß kann niemals ein eventueller Irrtum eines Mujtahid für alle Zeiten verfestigt werden.

    Durch den Ijtihad soll das Fiqh den Veränderungen von Raum und Zeit angepaßt werden.

    Die rechtsphilosophische Grundlage für die Möglichkeit einer flexiblen und dynamischen Betrachtungsweise des Fiqh liegt in der Frage der Erkennbarkeit von gut und böse durch die Vernunft und der Frage, ob Gut und Böse den Handlungen wesensmäßig zu eigen sind oder nicht.

    Bezüglich der Erkenntnisfähigkeit der Vernunft hinsichtlich Gut und Böse leugnet nur die Ashariya die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft. Abu´l-Hasan al-Ashari war der erste Gelehrte überhaupt, der die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft hinsichtlich gut und böse geleugnet hat. Die Ansichten der verschiedenen Schulen in dieser Frage faßt der Imam al-Mansur bi´llah al-Qasim b. Muhammad b. Ali al-Hasani (Salawatu´llahi alaih) in al-Asas folgendermaßen zusammen:

    "Die Vernunft ist übereinstimmend allein in der Lage, Husn (Gut) und Qubh (Böse) in zweierlei Hinsicht zu erkennen.

    Erstens: Die Übereinstimmung von etwas mit der menschlichen Natur wie Annehmlichkeiten und der Widerspruch von etwas zu ihr wie Schmerzen.

    Zweitens: Im Sinne, daß etwas eine Eigenschaft der Vollkommenheit ist wie das Wissen und im Sinne, daß etwas eine Eigenschaft des Mangels darstellt wie die Unwissenheit.

    Unsere Imame (Friede sei mit ihnen) und die Elite der Shia, möge Allah mit ihnen zufrieden sein, und die Mutazila und die Hanafiten und die Hanbaliten und einige Ashariten: Unter dem Gesichtspunkt, daß etwas zusammenhängt mit Lob und Belohnung in dieser Welt und mit Tadel und Strafe ebenfalls.

    Unsere Imame, Friede sei mit ihnen, und die Elite der Shia und die Mutazila und andere: Unter dem Gesichtspunkt, daß etwas Lob in dieser Welt und Belohnung im Jenseits und Tadel in dieser Welt und Strafe im Jenseits zukommt.

    Die Masse der Ashariten: In den letzten beiden Punkten hat die Vernunft keine Erkenntnisfähigkeit.

    Die Minderheit unter ihnen, die Hanafiten und die Hanbaliten folgen ihnen auch bezüglich des letzten der beiden Punkte."

    (al-Mansur bi´llah al-Qasim b. Muhammad b. Ali, al-Asas, S.13, Sada 1994)

    Die Lehre der Ahl al-Bait und ihrer Anhänger, d.h. die Zaidiya, und der Mutazila ist al-Adl, d.h. die Lehre, daß Allah gerecht ist und niemals ungerecht sein kann. Zaidiya und Mutazila sind der Ansicht, daß Gut und Böse durch die Vernunft erkennbar und den Handlungen wesensmäßig zu eigen sind. Die Vernunft kann daher erkennen, ob eine Handlung gut oder böse ist. Nach Ansicht von Zaidiya und Mutazila ist Allah gerecht und kann niemals ungerecht sein. Daher kann Allah niemals Gutes bestrafen oder Böses belohnen. Hier liegt der Unterschied zur Maturidiya und zur Hanbaliya, die zwar auch der Ansicht sind, daß Gut und Böse durch die Vernunft erkennbar und den Handlungen wesensmäßig zu eigen sind, aber auch die Ansicht vertreten, daß Allah an Gut und Böse nicht gebunden ist. Nach Ansicht dieser Schulen könnte Allah Gutes bestrafen und Böses belohnen, also ungerecht sein.

    Nach der Lehre der Ahl al-Bait und der Mutazila ist jedes Gebot und Verbot Allahs gerecht, d.h. die durch den Qur´an und den Propheten (salla´llahu alaihi wa Alihi wa sallam) gebrachten Normen sind nicht willkürlich, sondern haben eine ratio legis (Hikma tashriiya), die jeweils in der Realisierung der Nützlichkeit (Maslaha) besteht. Daher gibt es zeitabhängige und zeitunabhängige Normen, denn die Maslaha kann sich durch Unterschiede von Raum und Zeit ändern.

    Dem islamischen Recht ist also die Flexibilität immanent. Iqbal hat daher vom "principle of movement in the structure of Islam gesprochen". Jegliche Strömung, die die freie Reflexion über den Qur´an und die Sunna verbieten oder einschränken möchte, befindet sich im Widerspruch zu einem Grundprinzip des Islam.

    Rechtsableitung hat somit aufgrund der ratio legis (al-Hikma at-tashriiya) der Rechtssätze des Qur´an zu erfolgen. Bei Befürwortung dieser Ansicht als sowohl methodische Grundlage wie auch Grenze des Ijtihad ergeben sich weitere Fragestellungen.

    In der Vergangenheit wurde eine Rechtseinheitlichkeit und damit auch Rechtssicherheit durch das Vorhandensein der Schulen sichergestellt. Die Rechtswerke der einzelnen Schulen waren faktisch wie Gesetzbücher. Qadis und Muftis waren schulgebunden. Alle anderen Rechtsmeinungen waren nur Gegenstand akademischer Lehre, aber nicht der Rechtspraxis.

    Die Freiheit des Ijtihad führt immer zu unterschiedlichen Meinungen. Dies ist bereits in der Frühzeit des Islam so gewesen, wie ein Blick in die Werke der vergleichenden Rechtswissenschaft zeigt. Wenn man Rechtsableitung aufgrund der ratio legis betreibt (also Interpretation auch über die sprachliche Auslegungsebene und die Formalanalogie des auf eine Illa gegründeten Qiyas hinaus), so wird sich erst recht eine große Anzahl verschiedener Meinungen bilden. Es bedarf keiner langen Erläuterung, um klarzumachen, daß der Ijtihad in der Praxis hier nicht dem einzelnen Richter überlassen werden darf, da sonst ein Rechtschaos entstehen würde. Vielmehr muß es ein Legislativorgan geben, das einen für alle Richter als Gesetz verbindlichen Ijtihad festlegt. Die Flexibilität in der Rechtsprechung muß aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtseinheit in Grenzen gehalten werden. Bedeutendere Änderungen in der Rechtsauffassung können nicht dem einzelnen Richter überlassen werden, sondern bedürfen eines neuen Ijma (Konsens).

    Der Ijtihad hat also verschiedene Ebenen.

    1. Die akademische Ebene: Hier kann jeder Mujtahid und jeder Nicht-Mujtahid die Meinung vertreten, welche er für richtig hält. Dies ist die Ebene der reinen Forschung. Diese Ebene kann und darf niemals beschränkt werden. Jeder Muslim hat das Recht, die Rechtsauffassung zu vertreten, von deren Richtigkeit er überzeugt ist, und er darf diese Auffassung auch verbreiten und versuchen, mit seinen Argumenten die anderen zu überzeugen.

    2. Die praktische Ebene: Hier geht es um zwei Fragen:

    a) Welcher Ijtihad unter den zwangsläufig verschiedenen Meinungen soll anwendbares Gesetz werden?

    b) Wenn ein bestimmter Ijtihad Gesetz geworden ist, wieviel Interpretationsfreiheit für den Einzelfall bleibt dann dem einzelnen Richter?

    Die erste Ebene ist völlig frei. Hier kann jeder Ijtihad betreiben. Dies bedeutet, daß jeder die Lösung sucht, die er für richtig und damit auch optimal hält. Die dabei entstehenden Meinungen werden oft sehr weit auseinanderliegen. Für den Bereich der Ibadat ist diese Vielfalt relativ unproblematisch. Soweit hier die Fiqh-Fragen wirklich nur den Einzelnen betreffen, macht der Meinungsunterschied keine Probleme. Anders die sonstigen Bereiche des Fiqh. Hier ist Rechtssicherheit und Rechtseinheit erforderlich. Dies erfordert es, einen Ijtihad als allgemeinverbindliches Gesetz einzuführen, an das sich alle Angehörigen eines islamischen Staatswesens zu halten haben egal, ob sie persönlich diesen Ijtihad als richtig erachten oder nicht.

    Der Qur´an selbst geht selbstverständlich davon aus, daß es unter den Muslimen Meinungsunterschiede gibt. In Sura 42, Aya 39 heißt es: "Ihre Angelegenheit ist eine Sache gegenseitiger Beratung". Der Qur´an betont die Wichtigkeit der Einheit. Hieraus ist zu folgern, daß das Ergebnis der Beratung ein Konsens (Ijma), d.h. eine durch Beratung und Diskussion gefundene Lösung, die von der breiten Mehrheit der Fuqaha´ als vertretbar betrachtet wird, zu sein hat und keine Abstimmung. Auch in der Zeit der ersten vier Khulafa´ haben die Fuqaha´ versucht, bei Meinungsunterschieden einen Konsens zu finden. Der Konsens war ursprünglich ein praktisches Verfahren der Rechtssetzung bei den Muslimen, das ihnen der Prophet (salla´llahu alaihi wa Alihi wa sallam) beigebracht hatte. Erst in späteren Zeiten haben die Fuqaha´ die heute in den Usul-al-Fiqh-Werken vorhandene Ijma-Definition hervorgebracht, die praktisch untauglich und auch nicht als Verfahren der Rechtssetzung gedacht ist.

    Einen Konsens zu finden kann manchmal lange Zeit in Anspruch nehmen und bedeutet für den einzelnen Mujtahid oft, von der Lösung abweichen zu müssen, die er als ideal betrachtet.

    Meinungsunterschiede sind im Gegensatz zu der heute unter vielen Muslimen weit verbreiteten Meinung kein Übel. Sie sind es nur, wenn sie zur Spaltung führen, und zur Spaltung führen sie nur dann, wenn die Muslime mit ihnen nicht richtig umgehen können. Meinungsunterschiede sind ein wesentlicher Bestandteil der Prüfung, die Allah uns Menschen hier auf dieser Welt stellt, denn die Reinigung des Nafs (Tazkiya an-Nafs) besteht auch darin, andere Auffassungen zu dulden und sich mit ihnen sachlich auseinanderzusetzen. Diejenigen, die sich hinstellen und meinen das Recht zu haben, ihr Islamverständnis allen anderen aufzwingen zu dürfen, haben ein Nafs (Ego), das sich den Islam als Vorwand nimmt, um eigene Machtgelüste zu befriedigen. Eine islamische Gemeinschaft muß in der Lage sein, Meinungsunterschiede auszuhalten und einen Konsens zu bilden, mit dem sie in der Praxis arbeiten kann.

    Rechtssetzung hat also im Wege des Konsens zu erfolgen. Konsens kann hier selbstverständlich nur Konsens der Rechtsgelehrten bedeuten, die sich aber zwangsläufig auch mit Nicht-Fachgelehrten auseindersetzen müssen, denn zum einen sollte in einer islamischen Gesellschaft ein möglichst hohes Maß an Allgemeinbildung in den Usul ad-Din und im Fiqh angestrebt werden und zum anderen betrifft Recht jeden Menschen und jeder Mensch

    kann eine Aussage darüber treffen, ob er mit einer bestimmten Regelung zurecht kommt oder nicht. Außerdem bedürfen in einer immer komplizierter werdenden Welt die Juristen ohnehin immer häufiger eingehender fachlicher Beratung, um überhaupt das Sachgebiet zu verstehen, für das sie Regelungen hervorbringen sollen.

    Es bleibt somit die Frage, wie der Prozeß der Rechtssetzung konkret vor sich gehen soll. Muhammad Iqbal beispielsweise vertrat die Auffassung, daß ein moderner Ijtihad durch ein Parlament erfolgen sollte, dem auch Gelehrte angehören sollen. Hier sind zahlreiche Varianten denkbar. Jedenfalls muß dieser Ablauf in einer Verfassung festgelegt sein.

    Schließlich stellt sich die Frage der Auslegung der Gesetze. Wenn in einem islamischen Staat Ijtihad betrieben und Rechtssetzung durch Konsensus herbeigeführt wird, so bedeutet dies, daß diejenigen Fragen, welche sich durch Veränderung von Zeit und Raum ändern, allgemeinverbindlich durch Gesetz entschieden sind. Hieraus folgt, daß Richter nur noch eine Auslegungskompetenz hinsichtlich dieser Gesetze haben können. Es muß also auch eine Lehre von der Gesetzesauslegung entwickelt werden.
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  5. #65
    A.D. Benutzerbild von Siran
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    Eine Zusammenfassung von derartig langen Texten wäre nicht übel...
    Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.
    (George Bernard Shaw)

    Die Demokratie setzt die Vernunft des Volkes voraus, die sie erst hervorbringen soll.
    (Karl Jaspers)

    Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, daß es der Milchmann ist, dann weiß ich, daß ich in einer Demokratie lebe.
    (Winston Churchill)

  6. #66
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    Original von Siran
    Eine Zusammenfassung von derartig langen Texten wäre nicht übel...
    Der Text in Deinem Eingangsbeitrag war wohl nicht viel kürzer

  7. #67
    A.D. Benutzerbild von Siran
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    Nö, aber nicht von so vielen Fremdwörtern gespickt. Außerdem war es wesentlich früher am Tag, als ich den versucht habe zu verstehen.
    Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.
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  8. #68
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    Ja, natürlich, dass sich Kultur und Religion gegenseitig beeinflussen ist klar. Aber es ging ja eigentlich nicht einfach um die Kultur, sondern um das Staatssystem, bzw. um die Wechselbeziehungen Religion Staatssystem.
    Da will ich mal anknüpfen! Die Scharia ist für den Moslem, wie zu Recht von Schakal anmerkt, sowohl ein religiöses, als auch ein weltliches Regelwerk!
    Nun gibt es im Koran eine durchaus interessante Sure, in der steht: "Geht mit der Zeit", d.h als Moslem wird man dazu angeregt nie im Stillstand zu verharren, sondern sich weiterzuentwickeln und den aktuellen Gegebenheiten anzupassen! Da wir nun zur Zeit die Demokratie als kleinsten, gemeinsamen Nenner allen Zusammenlebens gefunden haben, die uns damit auch automatisch ein Regelwerk in Form von Gesetzen zur Verfügung stellt, brauche ich als Moslem dementsprechend auch keine Scharia, nach der ich mich richten muß!

    In der Scharia steht im Prinzip auch nichts anderes drin, als in unserem StGB, nur das die Bestrafungsmethoden drakonischer sind!

    Ich kann allerdings als weltlicher Moslem nicht viel mit der Scharia anfangen, da ich in Allah und im Islam mehr das sprituelle sehe und entsprechend nach der von mir im oberen genannten Absatz genannten Maxime: "Geht mit der Zeit" verfahre!

    Das, was in den islamischen Ländern zur Zeit passiert, hat, und das erwähnte ich in vielen anderen Threats schon sehr häufig, mit dem Glauben nicht viel zu tun! Ich möchte es hiermit auf einen einfachen Nenner bringen: wäre der Islam in jenen Ländern nicht existent, müßte eine andere Religion oder Ideologie herhalten, um woanders für die eigenen Probleme einen Sündenbock zu finden oder um die eigene Macht zu erhalten! Wußet Ihr schon, daß das Talibanregime im Süden von Afghanistan Opiumfelder besaß, um damit Geld zu verdienen, obwohl es eine schwere Sünde ist Drogen und andere berauschende Mittel zu konsumieren, geschweige sie anzubauen oder herzustellen? Ihr werdet mir bestimmt in diesem Punkt beipflichten, daß das mit dem Islam nicht viel zu tun hat; im Übrigen gilt das auch für die religiöse Auslegung der Taliban und all der anderen Extremisten!

    Trotzdem müssen sie bekämpft weden!! Sie stellen nicht nur eine Gefahr für mich dar, weil ich als Moslem vielleicht in Bezug auf meinen Glauben angefeindet werden könnte, sondern für uns alle! Denn sie würden uns am aller liebsten unserer Gesellschaftsgrundlage berauben, von der nicht nur ich profitiere: das zu sein, was wir gerne sein möchten, und worin wir unser Glück auf Grund unserer Überzeugung sehen!!!

    MfG, der safix

  9. #69
    GESPERRT
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    Original von safix
    Nun gibt es im Koran eine durchaus interessante Sure, in der steht: "Geht mit der Zeit",
    Kannst Du dazu die Sure nennen?

  10. #70
    A.D. Benutzerbild von Siran
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    Soweit ich das doch aber verstanden habe, kann der Koran nicht in dem Maße interpretiert werden, wie das z.B. bei der Bibel der Fall ist, da man im Islam davon ausgeht, dass der Koran direkt von Gott und daher fehrlerlos ist. Auch stellt sich die Frage, in wieweit dann überhaupt eine Veränderung möglich ist, wenn doch immer eine Rückbeziehung auf den Koran nötig ist.

    Dass Extremisten die Lehre gern nach ihren eigenen Regeln auslegen, ist ja an sich nichts Neues.
    Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.
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