Original von opus111
Hallo Ulfberth,
Volle Zustimmung, wobei ich gegenüber Weill durchaus tolerant bin.
„Nicht unpolitisch“ bedeutet keineswegs „politisiert“. Sofern man wie ich noch immer – wie ein angeblicher Methusalem – an der klassischen Ästhetik und nicht am sogenannten sozialistischen Realismus orientiert ist, liegt die Aufgabe des Ästhetischen in ihm selbst. Sehr traditionell ausgedrückt bei Mörike: „Das Schöne, selig scheint es ihm selbst“.
Selbstredend ist es möglich, Ästhetik für politische Zwecke zu verpflichten oder zu missbrauchen. Im Zweifelsfall ist das sogenannte „Politische“ lediglich eine zusätzliche ästhetische Dimension (da es dem Künstler unmöglich verboten werden kann, irgendeinen Lebens- und Seinsbereich auszuklammern). Das Ziel ist jedoch niemals das Politische im strikten Sinne. Hier irrten Weill und Brecht. Sie irrten um so mehr, als sie die Differenz zwischen politischer Aussage und Ästhetik nicht theoretisch fundieren konnten. Oder ganz simpel ausgedrückt: Was unterscheidet eine Dramaturgie von einem politischen Pamphlet?
In einem völlig anderen Sinne als von Brecht und Weill intendiert ist alles Ästhetische ohne Absicht „politisch“: d.h. es ermöglicht einen ästhetischen Diskurs und stellt sich dem „praktischen Leben“ gegenüber. Dies ist als solches eine Art von Provokation, weil es eine Dimension unseres Menschseins beleuchtet, die sich gegenüber der Alltagswahrnehmung abhebt.
Streng genommen bedarf es überhaupt keiner Kunst und keiner Künste, um die praktischen Lebenszwecke des Menschen zu erfüllen. UND GERADE DESHALB ist Kunst so ungeheuer wichtig und wertvoll. Der naive Spruch „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ hat große Berechtigung! Ästhetisches Erleben konterkariert die Tretmühle des Ökonomischen, welche Dinge und Menschen verwertet und verwurschtelt. In diesem Sinne ist Ästhetik immer „politisch“, auch wenn sie keine unmittelbare politische Aussage zum Ziel hat.