Erstes "Gastarbeiter-Abkommen" vor 55 Jahren
Im
Dezember 1955 unterzeichneten Deutschland und
Italien das erste "Gastarbeiter"-Anwerbeabkommen. Damit kamen italienische Arbeiter nach Deutschland, um den steigenden Bedarf an Arbeitskräften in Zeiten des Wirtschaftsbooms zu decken. Das Abkommen markierte den Beginn für die Einwanderung hunderttausender ausländischer Arbeitnehmer.
Anfang der
1950er-Jahre brummte die Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland. Steigende
Industrieproduktion und die ersten wehrpflichtigen Jahrgänge ließen die Arbeitslosenzahlen sinken und erhöhten im ganzen Land den Bedarf an Arbeitskräften, insbesondere im
landwirtschaftlichen Sektor und
im Bergbau. Auch für den Straßen- und Brückenbau wurden händeringend Arbeiter gesucht. Ganz anders in Italien: Vor allem im Süden des Landes waren viele Menschen ohne Beschäftigung.
Die wirtschaftliche Situation in Italien und Deutschland veranlasste beide Regierungen zu einer Übereinkunft: Am
20. Dezember 1955 unterzeichneten Bundesarbeitsminister Anton Storch und der italienische Außenminister Martino in Rom das
deutsch-italienische Anwerbeabkommen. Es erlaubte deutschen Unternehmen, dringend benötigte Arbeitskräfte aus Italien zu beschäftigen. Bis heute sind rund vier Millionen Italiener zum Arbeiten nach Deutschland gekommen.
Das deutsch-italienische Anwerbeabkommen wurde
zudem Vorbild für weitere bilaterale Vereinbarungen:
Fünf Jahr später schloss Deutschland mit
Spanien und
Griechenland ein Doppelabkommen,
1961 folgte die
Türkei.
1963 wurde mit
Marokko ein Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen, gefolgt von
Portugal, Tunesien und
Jugoslawien.
Die Initiativen gingen häufig von den Herkunftsländern aus, die ihren Arbeitsmarkt entlasten und von Devisenerträgen profitieren wollten. Aus deutscher Sicht erfolgten die Anwerbemaßnahmen auch vor dem Hintergrund der Sperrung der deutsch-deutschen Grenze im Jahr 1961: Nach dem Mauerbau kam der Zuzug von DDR-Übersiedlern weitgehend zum Erliegen was den Arbeitskräftemangel in Westdeutschland verschärfte. Die Praxis der Anwerbeverträge veränderte die europäischen Migrationsverhältnisse grundlegend und war wegweisend für weitere Migrationsbewegungen in Europa.
Durch die Anwerbeabkommen wuchs die Zahl der ausländischen Beschäftigten in Deutschland von rund 280.000 im Jahr 1960, auf
2,6 Millionen 1973. Die
überwiegend männlichen, jungen Angeworbenen wurden vor allem für
einfache, körperliche Arbeit im industriellen Gewerbe eingesetzt. Die Arbeiter lebten
ohne Familienangehörige in
Baracken oder
Sammelunterkünften. Weil ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein sollte wurden sie als "Gastarbeiter" bezeichnet. Das sogenannte
Rotationsprinzip sah vor, dass sie nach Ablauf der Aufenthaltsfrist in ihre Heimatländer zurückkehren und andere an ihre Stelle treten sollten.
In der Praxis zeigte sich aber ein anderer Trend.
Viele Unternehmen wollten die eingearbeiteten Arbeitskräfte weiter beschäftigen, wodurch sich deren Aufenthalt verlängerte. Ihnen folgten immer öfter auch ihre Familienangehörigen nach Deutschland.
Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung in Deutschland wuchs im Zuge der Anwerbepolitik von 1,2 Prozent im Jahr 1960 auf über 4,9 Prozent 1970.
Anfang der 1970er-Jahre veränderte sich die wirtschaftspolitische Situation. Als Folge der sogenannten Ölkrise und der sich verschlechternden Wirtschaftslage verfügte die deutsche Regierung 1973 einen
Anwerbestopp. Dadurch sollte der Arbeitsmarkt vor einem Überangebot an Arbeitskräften geschützt werden. Allerdings zeigte sich, dass der Bedarf nicht in allen Bereichen durch einheimische Arbeitskräfte gedeckt werden konnte. 1990 erstellte die Bundesregierung schließlich einen Ausnahmekatalog für die Einreise und den Aufenthalt von ausländischen Arbeitnehmern.
Das System der Arbeitsmigration in Deutschland ist heute stark an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert: Während der Aufenthalt von Arbeitskräften mit geringer Qualifikation zeitlich streng befristet ist, wird ausländischen Fachkräften mit guter beruflicher Qualifikation in der Regel ein Daueraufenthalt in Perspektive gestellt.
Im Rahmen einer EU-Richtlinie wurde für hochqualifizierte Arbeitnehmer die sogenannte Blue Card-Regelung beschlossen: Ähnlich wie die Green Card in den USA, soll mit ihr auch ein längerer Aufenthalt gestattet werden. Um sicherzustellen, dass nur Personen kommen, die einen guten Arbeitsplatz besetzen werden, ist die Blue Card in den Mitgliedstaaten daran gebunden, dass der Antragsteller an dem Arbeitsplatz in der EU ein bestimmtes Mindestgehalt erzielen wird. Jedem Mitgliedstaat bleibt es aber unbenommen, selbst die Zahl derer festzulegen, die mit einer Blue Card in dem jeweiligen Land für einige Jahre arbeiten dürfen.
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