Mythos um antarktische Nazi-Zuflucht
Die Mär von Hitlers Festung im ewigen Eis
Von der Reichskanzlei in die Antarktis? Polarforscher sezieren den Mythos um
"Neuschwabenland" und
"Neuberchtesgaden", die angebliche Eisfestung der Nazis. Linke Paranoiker und Neonazis haben eine Mär um U-Boote, Ufos und Atombomben gestrickt - und um einen kleinen, wahren Kern.
Hitlers Helfer sollen Ende der dreißiger Jahre einen eisfreien Zufluchtsort im Königin-Maud-Land, östlich der Wedell-See, ausgekundschaftet haben, behaupten strammrechte Verschwörungstheoretiker. Bis Kriegsende hätte ein Geheimkommando dort geräumige Höhlen ausgehoben, einen autarken Außenposten errichtet und Vorräte eingebunkert. Nach Kriegsende soll das Versteck dann - je nach Version der Mär - versprengten Rest-Nazis, einer Clique um Martin Bormann, Eva Braun und Hitler selbst, oder wenigstens der Urne mit der Asche des Diktators Zuflucht geboten haben.
Bis heute geistert diese Mär durch Zeitungen, Web und die populärwissenschaftliche Literatur. Jetzt hat ein Polarforscher
"Hitlers Antarktis-Basis" (so der Titel) unter die Lupe genommen. Der angesehenen Fachzeitschrift
"Polar Record" war die Forschungsarbeit immerhin 21 Seiten in ihrer Januar-Ausgabe wert.
"Haben U-530 und U-977 die Antarktis besucht?", fragen Colin Summerhayes und sein kanadischer Co-Autor Peter Beeching darin, und: "Wurden Atombomben über der Antarktis gezündet?" Beides behaupten Verschwörungstheoretiker seit Jahrzehnten.
"Extrem unsolide Auffassung über die Antarktis selbst"
Die Besatzung der Eisfestung hätte im Winter 1945 britischen Spezialkräften, im Südsommer 1946-1947 gar US-amerikanischen Soldaten Paroli geboten. Erst 1958 sei "Neuberchtesgaden" mittels dreier US-Atombomben zerstört worden. Die extremsten Verfechter der Verschwörungstheorie behaupten indes, auch danach hätten die Eisnazis noch überdauert - ausgerüstet mit Ufo-Technologie. Nichts davon stimmt.
"Es hat echt Spaß gemacht, mit dieser Geschichte zu arbeiten", sagte Polarforscher Summerhayes zu SPIEGEL ONLINE. Diese Theorien hätten auf einer "extrem unsoliden Auffassung über die Antarktis selbst" basiert. "Wir dachten einfach, dass einmal jemand aufschreiben sollte, wie die tatsächliche Situation aussah - und warum es nicht anders gewesen sein kann." Doch sollte solcher Unfug überhaupt Gegenstand von Forschung sein?
"Geben Sie einmal 'Nazis' und 'Antarktis' bei Google ein", entgegnete Summerhayes. Tatsächlich sprechen die ersten der über 800.000 Treffer für sich. "Die Geschichte scheint auch in Russland ziemlich populär zu sein und kommt ab und zu in der Zeitung 'Prawda' vor." Auch dem Historiker Holger Meding von der Universität Köln ist sie geläufig, hauptsächlich aus dem angelsächsischen Raum. "Aber mir fallen auch aus dem spanischsprachigen Raum aus den letzten Monaten fünf oder sechs Bücher ein, die diese Mythen aufwärmen", sagt Meding zu SPIEGEL ONLINE. Er ist ein Experte für die Geschichte Lateinamerikas und vertraut mit den Details der Immigration Deutscher nach Südamerika - auch alter Nazis.
Neonazis und linke Paranoiker spinnen am Mythos
"Die Berichte über eine Antarktis-Basis kommen aus ganz unterschiedlichen politischen Ecken", sagt Meding. "Die ersten waren eher links, also gegen die Nazis." Im Nachkriegs-Argentinien sei das auch Kritik an der rechten Regierung von Staatschef Peron gewesen, dem man unterstellt habe, obskure Nazi-Verschwörungen zu unterstützen.
Angebliches Versteck: Östlich der heutigen Neumayer-Forschungstation, zwischen der Küste von Königin-Maud-Land und dem Mühlig-Hofmann-Gebirge soll die Eisfestung der Nazis gelegen haben
Zu den Legendenspinnern zählt aber auch der berüchtigte kanadische Neonazi Ernst Zündel, der unter dem Pseudonym Christof Friedrich in den siebziger Jahren den Eisfestungs-Fundus um zwei Bücher bereicherte. "Zündel macht daraus dann eine Heldengeschichte: 'Wir sind noch immer da'", sagt Meding.
Er sieht den Ursprung der "historisch ziemlich haltlosen" Legende von der Antarktis-Festung in dem Buch "Hitler está vivo" (Hitler lebt), das der Exil-Ungar Ladiszlav Szabó 1947 in Buenos Aires veröffentlichte. Er berichtete darin von "Hitlers neuem Berchtesgaden in der Antarktis" - der Keim aller Eisfestungstheorien bis heute. "Das Buch hatte aber auch ein paar Aufhänger", sagt Meding, "und die waren keineswegs Mumpitz."
"Es gibt ein kleines Körnchen Wahrheit in all diesen Geschichten", schreiben auch Summerhayes und Beeching, die Mythos und Realität trennen:
Nazis, Ufos, Atombomben: Militärische Geheimhaltung und Übersetzungsfehler begünstigten, dass die Legende von der Eisfestung wild wucherte. Ihren Anfang nahm sie im Walfang
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