Zitat von
Empirist
Es ist mehr die utopistische Ideologie, als Ideologie selbst. Denn mit diesen Utopien gehen viel zu gewaltige Umwälzungen daher und waren bis heute immer konzeptionell viel zu schlecht um in der Realität umgesetzt werden zu können (siehe die wiederholt gescheiterten Versuche, Kommunismus zu realisieren).
Zu der Schwanztheorie:
Wenn du ein schwanzzentrisches Weltbild vertrittst, verstehe ich nicht, wie du das mit der Forderung nach einem zentralistisch organisierten Europa vereinst. Ein zentralistisches System bietet geradezu die perfekte Plattform für diejenigen, die nach dem sinnbildlich "Längsten" streben. Schau dir Präsidialdemokratien wie Frankreich an oder die Show die Johnson in Großbritannien abzieht. In der Geschichte könnte man Stalin als Negativbeispiel heranziehen, genauso wie Cäsar. Zur Abmilderung genau dieses Verhaltens und seiner Entfaltungsmöglichkeiten, ist ein Staat mit Machtverteilung dann aber doch besser geeignet und das findet sich im Föderalismus wieder.
Nun aber mal zu dem Weltbild an und für sich. Monomotivationale Theorien zur menschlichen Motivation und Psyche haben sich nicht durchsetzen können und das aus gutem Grunde. Betrachten wir einmal die Weiterentwicklung von Freud zu Jung, was ein eher kleiner Schritt ist, aber gut illustriert, weshalb diese Theorien nicht funktionieren. Freud hat psychische Prozesse und daraus resultierendes Verhalten innerhalb der Individuen einer Gesellschaft fundamental als Kompetition begriffen. Jung wiederum erkannte in seiner Analyse von Archetypen, dass es immer eine Mischung aus Kompetition und Kooperation ist, die man benötigt um Verhalten zu beschreiben, da ansonsten im Prinzip selbst simpelste Verhaltensregulierung dauerhaft nicht möglich ist.
Gleichermaßen lässt sich mit deinem schwanzzentrischen Weltbild maximal eine sehr kleine Gruppe hyperkompetitiver Alpha-Männchen beschreiben und selbst da ist das nur begrenzt vertretbar. Innerhalb dieser extrem kleinen Population gibt es ja auch in guten Teilen altruistisch handelnde Männer wie Bill Gates. Gleichzeitig sieht man einen wesentlich größeren Anteil an Männern, die kaum kompetitive oder ruhmreiche Jobs durchführen, aus Motiven wie Liebe zur Familie oder ähnlichem. Der Krankenpfleger, Müllmann, Schweißer... wird mit seinem Verhalten sicherlich nichts von dem erreichen, was du beschreibst. Daraus Ruhm/Schwanz als primären Motivator zu machen, halte ich für nicht begründbar.
Nehmen wir die Ägypter gerne als Beispiel. Das Mittlere Reich beispielsweise durchlebt lange Phasen von Frieden in einer ansonsten sehr kriegerischen Zeit, weil die Pharaonen über große Zeiträume geographische Gegebenheiten für einen effektiven Isolationismus nutzen und überhaupt kann man sehen, dass schon in der Bronzezeit durch Handel Stabilität erzeugt wird, der dann erst im Rahmen des Zusammenbruchs der Bronzezeit und die Ankunft der "Seevölker" seine stabilisierende Wirkung einbüßt.
Dass bei dem Thema Gerechtigkeit und Verteilung einiges im Argen liegt, bin ich völlig bei dir. Wir haben einen viel zu aufgeblähten Sozialstaat, übertriebene Umverteilung und zu hohe Steuern für die Leistungselite dieses Landes.
Im Sinne der Gerechtigkeit müsste man hier massiv den Sozialstaat herunterfahren und mehr Leistung und Eigenverantwortung von einem großen Teil der Bevölkerung einfordern, das ist richtig.
Trotz allem ist die moderne Leistungsgesellschaft aber die mit Abstand beste Gesellschaft, die wir je produziert haben.
Der Kapitalismus (wobei das ein viel zu schwammiger Begriff ist), ist für meine Betrachtung von Gerechtigkeit, das im Kern optimale System, denn er misst, wer die besten Waren und Dienstleistungen auf den Markt bringt und hat die Fähgikeiten eine extreme Breite an Bedürfnissen zu befriedigen, besonders wenn von staatlicher Seite aus nicht unnötig reguliert.