Hans-Jürgen Syberbergs Film
WINIFRED WAGNER: „UNSER SELIGER ADOLF“
Richard Wagner und sein Werk werden heutzutage oft im Zusammenhang mit Adolf Hitler und dem Dritten Reich wahrgenommen. In der Tat war Adolf Hitler ein Liebhaber von Wagners Musik – und ein enger Freund der Familie des Meisters.
1975 veröffentlichte der Regisseur Hans-Jürgen Syberberg ein
fünfstündiges Interview mit Wagners Schwiegertochter
Winifred Wagner, durch das diese Verbindung erneut beleuchtet wurde.
Im Folgenden ein Beitrag aus dem SPIEGEL 31/1975 zur Veröffentlichung des Films.
Den Bayreuther Festspielen 1975, mit Wolfgang Wagners Neuinszenierung des „Parzivals“ eröffnet, wurde kurz vor Beginn ein unerwartet dissonantes Vorspiel beschert:
Winifred Wagner, 78, Schwiegertochter des Meisters Richard und Freundin des Führers Adolf, brach ihr drei Jahrzehnte langes Schweigen. In einem Dokumentarfilm von Hans-Jürgen Syberberg preist sie Wagner-Fan Hitler als
„einzigartige Persönlichkeit“.
Jüngere Wagner-Nachkommen und Wagnerianer fürchten nun neuen Unfrieden um Bayreuth.
WINIFRED WAGNER UND ADOLF HITLER
„Wenn der Hitler heute hier zur Tür reinkäme“, sagt die alte Dame, „ich wäre genauso fröhlich und so glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben, als wie immer.“ Was sie „für gut und menschlich an dem Mann gehalten“ habe, das lasse sie sich „einfach nicht nehmen.“ Hitler, der „blutbefleckte Freund“, war, so schwärmt sie, „eine einzigartige Persönlichkeit.“
Winifred Wagner hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie Adolf Hitler ungebrochen weiter so verehrt wie von 1930 bis 1944, als sie, die Schwiegertochter Richard Wagners, Prinzipalin der Bayreuther Festspiele und Herrin des Familiensitzes Villa Wahnfried war.
Nur öffentlich „predigen“, wie sie sich ausdrückt, konnte sie ihre Treue zum Führer nicht mehr: Seit dem
Entnazifizierungs-Verfahren von 1947 sei ihr das
„Maul verboten“ gewesen: im Interesse eines politisch bereinigten Wagner- und Festspiel-Images war für lange Zeit wohl besonders der Familie an ihrem Schweigen gelegen.
GEBROCHENES SCHWEIGEN
Jetzt hat sie gesprochen. Überredet von ihrem Enkel Gottfried Wagner, 28, Sohn des gegenwärtigen Festspiel-Leiters Wolfgang Wagner, hat sie sich dem
Münchner Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg, 39, für einen fünf Stunden langen Dokumentarfilm anvertraut. In ihrem alt- und großbürgerlich ausgestatteten Bayreuther Pavillon, wo einst auch Hitler oft zu Gast gewesen war, gab sie, mit tiefer, rauher Stimme, Auskunft über „unseren seligen Adolf“.
Gefilmt wurde das Mammut-Interview an fünf Tagen im April 1975. Winifred-Enkel Gottfried, der in München Musik studiert und an einer Doktorarbeit über Kurt Weill arbeitet, assistierte dem Regisseur bei den Dreharbeiten. Unter dem Titel
„Winifred Wagner und das Haus Wahnfried 1914–1975“ will Syberberg den Film im Herbst ins Kino bringen.
Syberberg hat in früheren Filmen Brecht, Kortner, Romy Schneider und den bayrischen Sex-Filmer Alois Brummer dokumentarisch zu Wort kommen lassen: in ästhetisch ehrgeizigen Spielfilm-Produktionen porträtierte er einfühlsam zwei deutsche Trivial-Genies des 19. Jahrhunderts: Bayernkönig Ludwig II. und Karl May. Bei Vorarbeiten zu einem geplanten Spielfilm über Hitler kam ihm die Idee, dessen Bayreuther Freundin Winifred Wagner „wie Brechts Zöllner nach ihrem Leben abzufragen.“
Syberberg hat ihr von vornherein „zu erkennen gegeben,“ dass „sie auf der falschen Seite“ war: „Ich habe gesagt, Sie wissen, ich teile Ihre Ansichten nicht, aber ich respektiere sie.“
Die gebürtige Engländerin vom „Typ Herrenreiterin“ (Syberberg), die 1914 nach Bayreuth gekommen war und ein Jahr später Richard Wagners Sohn Siegfried (1869 bis 1930) geheiratet hatte, stellte sich Syberbergs Fimteam und seinen Fragen mit teils reservierter, teils-burschikoser, stets aber selbstbewußter Bereitwilligkeit inmitten zahlreicher Erinnerungsstücke, die nun auch im Film zu sehen sind.
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