VERSORGUNGSENGPÄSSE
Britische Regierung will Soldaten als Tanklastwagenfahrer einsetzen
Nach Panikkäufen sind die meisten Zapfsäulen leer. Die Tankstellen-Krise im Vereinigten Königreich spitzt sich zu.
Die Lage an den britischen Tankstellen hat sich über das Wochenende drastisch zugespitzt. Nach Panikkäufen von verunsicherten Kunden gibt es nun landesweit Versorgungsengpässe mit Treibstoff.
Zunächst hatte es Ende vergangener Woche vereinzelt Meldungen über Tankstationen gegeben, die wegen fehlender Fahrer keinen Nachschub erhielten. BP sprach von 50 bis 100 betroffenen Tankstellen. Am Samstag und Sonntag legte dann ein Ansturm von Kunden die meisten Tankstellen des Landes lahm. Einige meldeten eine um 500 Prozent höhere Nachfrage als in Normalzeiten.
Aktuell sitzen
50 bis 90 Prozent aller unabhängigen Tankstellen auf dem Trockenen, meldete der Verband Petrol Retailers Association nach einer Umfrage. Nur an den Autobahnen und bei Supermärkten sei die Situation etwas besser, da die dortigen Tankstellen von den Mineralölkonzernen vorrangig beliefert werden. Der Automobilverband AA, dem 14 Millionen angehören, hatte noch zu beruhigen versucht und sprach von „lokalen Problemen“. Es stehe „jede Menge Benzin zur Verfügung“, nur hätten Panikkäufe zu örtlichen Engpässen geführt.
Nun soll die Armee helfen. Um die Lage zu entspannen, bereitet die Regierung als drastischen Schritt den Einsatz von Hunderten Soldaten als Tanklastfahrer vor. Intern läuft diese Notfallmaßnahme unter dem Namen
„Operation Escalin“. Allerdings soll es ein paar Tage dauern, bis die Soldaten wieder genug Treibstoff an die Zapfsäulen gebracht haben.
Zudem hat die britische Regierung sich am Wochenende zu einer Kehrtwende gezwungen gesehen und die
Immigrationsregeln gelockert. Boris Johnsons Verkehrsminister Grant Shapps kündigte die Ausgabe von mehreren tausend zusätzlichen befristeten Arbeitsvisa für ausländische Fahrer und andere Arbeiter an. 5000 Lastwagenfahrer und 5500 Hilfskräfte für die Geflügelindustrie werden damit für drei Monate ins Land gelassen.
Aus der Wirtschaft kamen gemischte Reaktionen auf die Visa-Ankündigung. Ruby McGregor-Smith, die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (BCC), kritisierte, dies sei „nur ein Fingerhut Wasser auf ein Feuer“. Die Zahl sei nicht ausreichend. Und bis mehr neue heimische Fahrer geprüft würden, dauere es zu lange. Der Chef des Wirtschaftsverbands CBI, Tony Danker, nannte jedoch die gelockerten Visabestimmungen „eine riesige Erleichterung“. Der Verband Logistics UK sprach von einem großen Schritt vorwärts zur Lösung der Lieferkettenprobleme.
Nach Angaben des
Straßentransportverbands fehlen
90.000 bis 100.000 Lkw-Fahrer. Die akuten Engpässe sind zum Teil eine Folge der Pandemie-Zeit. Während der Corona-Krise wurden kaum neue Lastwagenfahrer ausgebildet, Tausende haben dem Transportgewerbe den Rücken zugekehrt.
Zum Teil ist der Personalmangel aber auch
eine Folge des Brexits und der
Abwanderung ausländischer Fahrer oder
Hilfskräfte. Nun gelten strengere Immigrationsregeln mit höheren Verdiensthürden. Die neue Einwanderungspolitik soll eigentlich die Immigration so steuern, dass nur noch Höherqualifizierte ins Land kommen statt wie zuvor viele Geringverdiener.
Nun zwingen die Engpässe die Regierung aber zu einer Kehrtwende.
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