Boris Jelzin, der Michael Gorbatschow als russisches Staatsoberhaupt ablöste, gilt als der große Reformator Russlands. Unter seiner Ägide wurde die Privatisierung der Wirtschaft eingeleitet, blühte der Raubtierkapitalismus, denn Jelzin und sein Clan waren durch und durch korrupt.
Er präsentierte sich als Mann des Volkes und verfolgte zwischen August 1991 und Oktober 1993 eine relativ wirtschaftsliberale Linie.
Im Dezember 1992 hatte sich die Wirtschaftslage massiv verschlechtert. Die Inflationsrate lag bei 2500 Prozent. Die Bevölkerung hatte mit Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit und Armut zu kämpfen. Im September 1993 sollte der langwierige Machtkampf mit dem Parlament endgültig eskalieren. Frustriert über die festgefahrene innenpolitische Situation setzte sich Jelzin über alle demokratischen Regeln hinweg und löste das Parlament auf. Hunderte Abgeordnete verbarrikadierten sich daraufhin im Parlamentsgebäude. Jelzin ließ Heizung, Strom und Wasser abschalten - ohne Erfolg. Am 4. Oktober ließ Jelzin das Weiße Haus schließlich stürmen. Fast 150 Menschen starben bei den heftigen Kämpfen. Jelzin war entsetzt und versuchte, seine Probleme mit dem Alkohol in den Griff zu bekommen.
Am 12. Dezember verabschiedete das Volk in einem Referendum eine neue Verfassung und gleichzeitig fanden erstmals freie Wahlen mit mehreren sich konkurrenzierenden Parteien statt.
Jelzins präsidiales Regime respektierte weder die Verfassung noch die Menschenrechte. Der Präsident selbst ordnete den Krieg gegen Tschetschenien an, der moralische Tiefpunkt seiner Regentschaft. Das Innenministerium und der Geheimdienst wurden nach altem Muster gestärkt, "ein schleichender Putsch gegen Recht und Gesetz" fand statt (Sager).
Jelzin hatte sich schon vor 1991 als über den Parteien stehend deklariert und war im Juli 1990 aus der KPdSU ausgetreten. Die Konfrontation mit dem System von 1987 hinterließ bei ihm Spuren. Jelzin fürchtet sich vor <VERRAETERN>. Einige nennen es gar Verfolgungswahn. Er bemühte sich aber auch nicht darum, eine Präsidentenpartei zu gründen.
Jelzins Ansehen und Gesundheit waren stark angegriffen. Seine Unfähigkeit, das Trinken aufzugeben, machte die Situation nur noch schlimmer. Jelzin brauchte zudem chirurgische Hilfe, wenn er weitere Herzinfarkte vermeiden wollte. Aber er weigerte sich, denn die russische Präsidentschaftswahl im Juni 1996 stand vor der Tür.
Doch die Oligarchen verhalfen ihm in jenem Jahr mit ihrer Unterstützung - vor allem durch die Medienpropaganda - zur Wiederwahl. Zu jener Zeit befand sich Präsident Boris Jelzins Karriere in steilem Abstieg. Am Vorabend der neuen Präsidentschaftswahlen stand sein Stellenwert bei der öffentlichen Meinungsumfrage bei 4%. Er war Alkoholiker mit schweren Herzproblemen; er arbeitete nur noch 2 Stunden am Tag. Der Staat wurde praktisch von seinem Leibwächter und seiner Tochter Tanja Djatschenko regiert; Korruption gehörte zur Tagesordnung.
Die Oligarchen entschieden sich, durch ihn die Macht zu übernehmen. Sie hatten fast unbegrenzte Geldmittel, Kontrolle über alle Fernsehkanäle und die meisten anderen Medien. Sie setzten all dies der Kampagne zur Wiederwahl von Jelzin zur Verfügung, verweigerten seinen Opponenten eine einzige Minute Fernseh-Zeit und investierten große Summen von Geld in diese Bemühungen.
Die Kampagne hatte Erfolg: Jelzin wurde tatsächlich wieder gewählt. Noch am selben Tag erlitt er wieder einen Herzanfall und verbrachte den Rest seiner Amtszeit im Krankenhaus. Praktisch regierten nun die Oligarchen Russland. Heute sind sie durch die Wirtschaftskrise gebeutelt.
Haben Pseudomarktwirtschaft und Korruption endgültig diesen Weg verstellt? "Es gibt weder einen vom Markt bewirkten Aufschwung noch eine deutliche staatliche Wirtschaftsstrategie" (Gabriele Gorzka). Ist staatsbürgerliches Verhalten, die Republik als Angelegenheit ihrer Bürger den Russen fremd? Erkennen sie nicht harte Arbeit als Quelle des Reichtums? Das russische Volk zeigte sich beim Ende der Sowjetunion reif und besonnen. Das Ende der Parteidiktatur und der demokratische Neuanfang verliefen fast unblutig. Den Versprechungen eines starken Mannes und den Versuchungen "einfacher" Lösungen hat die Mehrheit bisher erfolgreich widerstanden. Haben die Russen ihre Lektion gelernt oder ist Jelzins Demokratie eine Art Weimarer Republik für Russland gewesen?