Zitat von
Suppenkasper
Mein werter Daggu. Es geht nicht darum so zu tun, als wären die Nationalsozialisten eine Art Öko-Friedensbewegung gewesen, die den Tag mit Blumenkränzeflechten und Gebetsmühlendrehen ausgefüllt habe. Natürlich waren sie das nicht, obwohl sich einiges an Argumenten dafür vorbringen ließe, dass sie tatsächlich geistige Vorreiter der "grünen Bewegung" waren, und tatsächlich der stets unterstellte Kriegswille gar nicht so groß war, wie gemeinhin von der offiziösen Historiographie angenommen. Das ganz einfache Hauptargument dafür ist der geradezu armselige Stand der deutschen Rüstung anno 1939 im Vergleich zu den späteren Kriegsgegnern (hier also zunächst einmal insbesondere Großbritannien und Frankreich.
Kurzer Exkurs:
Erklärbar ist das nur durch: 1. Die Führung war militärisch vollkommen inkompetent und überhaupt nicht in der Lage einen Krieg zu führen. Das beißt sich aber mit dem Narrativ des hochgerüsteten, kriegslüsternen Dritten Reichs und seiner hochgezüchteten Militärmaschinerie, die nur dazu da war Europa zu überfallen. Mit so einem Haufen Schrott wie ihn die Wehrmacht und vor allem die Kriegsmarine anno 1939 besaß - bei der Luftwaffe sah es etwas besser aus, aber zahlenmäßig war da auch ein enormer Rückstand zu verzeichnen - ein irrsinniges Unterfangen.
2. Man wollte zumindest 1939 keinen Krieg, jedenfalls keinen europäischen Krieg, schon gar keinen Weltkrieg. Das sagt nichts darüber aus, ob ein solcher nicht längerfristig, insbesondere gegen die Sowjetunion, geplant war.
Wie man es dreht und wendet, es passt nicht. Die deutsche Rüstung erreichte überhaupt erst 1944 den stand, den sie schon 1939 gebraucht hätte, um das Ding zu gewinnen, und da war ohnehin in jeder Hinsicht alles bereits verloren und verspielt.
Manche Hobbyhistoriker tendieren zu These 1, mit dem Hinweis darauf Hitler sei ja ohnehin "wahnsinnig" gewesen und habe vom Militär nichts verstanden.
Ich tendiere zu These 2. Das Deutsche Reich wollte anno 1939 einen Krieg nicht, zumindest keinen großen (den man dann frei Haus bekam), es ist aber sehr gut denkbar (und durch mancherlei Indiz belegt), dass zu einem späteren Zeitpunkt ein solcher angepeilt war, und zwar wenn möglich ausschließlich oder doch in der Hauptsache gegen den ideologischen Hauptfeind, die Sowjetunion.
Aber zurück zum Thema: weder waren die Nationalsozialisten perfekt, auch Hitler als Person war es nicht, noch sind sie "frei von Schuld", wenn man sich beispielsweise in einem christlichen oder klassisch-humanistischen Denkrahmen bewegt. "Frei von Schuld" sind sie nicht einmal, wenn man sich in einem explizit nationalsozialistischen Denkrahmen bewegt.
Das möchte ich erläutern, weil es vielleicht überrascht. Der Fehler waren viele, und innerhalb der Führungsriege gab es so viele zweifelhafte, zum Teil echt verräterische Gestalten, die sabotierten, untergruben, gegeneinander arbeiteten, und das teilweise auf die skrupellos möglichste Art und Weise, so daß es einem schlecht werden kann.
Man könnte sagen, daß "die Nationalsozialisten", und hier spreche ich vor allem von der mittleren und oberen Führungsebene, sich in vielen Fällen als den an sie gestellten Aufgaben nicht gewachsen erwiesen, manche davon auch als Charakter dazu von vorneherein nicht in der Lage waren.
Dazu kam die Tatsache, dass der Nationalsozialismus niemals eine durch unwandelbare Doktrinen festgeschriebene Ideologie war, so wie der Kommunismus, der auch philosophisch bis ins Kleinste durchdacht war. Der Nationalsozialismus verstand sich als eine wandelbare und auch stets sich wandelnde Weltanschauung, die auf einigen wenigen Grundprinzipien beruhte, nicht als bis in alle Ewigkeit festgelegte Doktrin (das Prinzip der "permanenten Revolution"). Warum das so war, und was das im Einzelnen bedeutet, würde zu weit führen. Effektiv war das Resultat dieser von Kritikern oft bemängelten "theoretischen Leere", dass es selbst innerhalb der NSDAP die unterschiedlichsten Strömungen gab (das war keineswegs durch "Die Nacht der langen Messer" 1934 bereinigt worden, im Gegenteil, hier wurden nur die Exponenten des "linken" Flügels ausgeschaltet bzw kaltgestellt). Praktisch jeder kochte - innerhalb des recht locker gesteckten Rahmens - sein eigenes Süppchen. Viele waren überhaupt nur Parvenüs und halbherzig dabei (wie Albert Speer, von dem ich nicht glaube, dass er jemals das war, was man heute einen "Vollblut-Nazi" nennen würde) andere waren völlig skrupellose, aber hochintelligente Karrieristen (wie Bormann) wieder andere spannen sich ihre eigenen Träume und lebten buchstäblich in ihrem eigenen "Reich im Reich" wie Himmler.
Dass das ganze Gebilde nach dem "Führerprinzip" organisiert war, klingt in der Theorie sehr schön, wenn man die Demokratie ablehnt und solchen Dingen nun zuneigt, das kann aber nur in einem tatsächlichen meritokratischen System funktionieren, und das war das Dritte Reich nicht, das war allenfalls etwas das es als Endziel anstrebte, von dem aber klar war, dass es eine generationenlange Arbeit sein würde so etwas, so weit das überhaupt praktisch umsetzbar ist, zu erreichen.
Und all dies führte letztlich dazu, dass das ganze komplizierte Ding, das wir heute aus den Schulbüchern als "Nazi-Diktatur" kennen in allen Fugen knirschte und krachte, so daß es ein Wunder ist, dass es überhaupt so lange funktioniert hat, vor allem während des Krieges. So viel kochten ihr eigenes Süppchen, so viel wurden zu Verrätern, so viele arbeiteten an Hitler vorbei, so viele hatten nur ihre eigene Karriere und ihre eigenen Pfründe im Kopf. Fast so schlimm wie heute, nur in der Konsequenz viel fataler, weil man sich nicht nach 70 jährigem Frieden vollgefressen wie die Made im Speck damit auseinandersetzen musste, sondern mitten in einem Weltkrieg. Das System war dafür nicht annähernd reif. Ein großer Vorteil der Sowjetunion war, dass sie fast eine Genartion länger Zeit hatte, sich auf genau so einen fall vorzubereiten und nach Stalins brutalen Säuberung auch viel stärker "ideologisch durchgeformt" war als Deutschland.
Und aus dieser Gemengelage resultierten fatale Fehler, aus dieser Gemengelage resultierten Aktionen, die durchaus als verbrecherisch bezeichnet werden können, und aus dieser Gemengelage resultierte auch zwingend die Niederlage im größten militärischen Konflikt der Weltgeschichte.