Heidenau. Der Hubschrauber über Heidenau erinnerte Sonnabendnacht manchen Einwohner an das Hochwasser 2002,
andere an den August 2015. Damals wurden am Praktiker Polizisten attackiert, als sie das Heim für Asylbewerber beschützen wollten,
später gab es Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen. Die Flüchtlinge zogen schon vor einem Jahr aus dem
ehemaligen Baumarkt aus.
Der Tatort hat sich indes ins Zentrum zwischen Bahnhof und Markt verlagert. Zwei Wochenenden
hintereinander sollen sich hier Gruppen nicht nur verbal attackiert haben. Beide Male wurde die Polizei alarmiert und beide Male war bei
deren Eintreffen niemand mehr da. Am Sonnabend wurden der Polizei etwa 50 Leute gemeldet. Deshalb war parallel zu den
Einsatzfahrzeugen auch der Hubschrauber im Einsatz, damit sich die Beamten einen Überblick verschaffen. Der Einsatz endete wie schon
der eine Woche zu vor: keine Geschädigten, kein Ermittlungsverfahren, keine Zeugen. Bis auf den, der die Polizei
angerufen hatte. Der habe zwar den Eindruck gehabt, da bahne sich etwas an, mehr konnte er aber nicht sagen. Die Polizei macht ihm
trotzdem keinen Vorwurf. Lieber rechtzeitig als zu spät informieren. Nachdem die Beamten nun aber zweimal vor Ort weder Täter
noch Opfer antrafen, wird davon ausgegangen, dass das kein Zufall mehr ist.
Diese Alarmierungen reihen sich in einige Vorfälle der vergangenen Tage ein. Ein angegriffener und verletzter Radfahrer, eine
überfallene Frau, ein versuchter Fahrraddiebstahl, zehn beschädigte Autos. Die Polizei war jetzt an einem extremen Tag zehnmal
in Heidenau im Einsatz – Verkehrsunfälle, Streitigkeiten, Lärmbelästigungen, Kellereinbrüche, Betrunkene.
Für rechte FacebookSeiten war offenbar jedes Mal jemand vor Ort und meldete die Täter: Flüchtlinge,
die sie „Fachkräfte“ und neuerdings auch „Raketenwissenschaftler“ nennen. Unter den Tätern sind in der Tat Flüchtlinge,
aber nicht nur. In die Schlägerei am 4. April zum Beispiel waren ein Afghane und ein Deutscher verwickelt.
Nun wird zur Bürgerwehr aufgerufen.
Wenn Staat und Polizei die Heidenauer nicht mehr schützen könnten, müsse man das eben selbst in die Hand nehmen,
argumentiert die rechte Facebook*Seite. Sie wird seit 2015 von der Staatsanwaltschaft beobachtet. Seither gab es nach Auskunft
der Behörde mehrere Verfahren gegen die Seite. Administratoren rühmen sich damit, wieder für eine Zeit gesperrt worden zu
sein. In wie vielen Fällen die Sperrung von der Staatsanwaltschaft und wie oft von Facebook ausging, ist offen. ...
Bürgerwehren agieren ohne rechtliche Grundlage und verstoßen gegen das staatliche Gewaltmonopol – „Bürgerwehren dürfen die
Grenze zur Selbstjustiz nicht übertreten“, sagt das Innenministerium. Sie dürfen keine Waffen tragen und keine Gewalt ausüben.
Jedermann darf zwar Verdächtige auf frischer Tat festhalten, dafür muss es aber „einen hinreichenden und eindeutigen Anlass“
geben. Und: In jedem Fall ist umgehend die Polizei zu verständigen. Verfassungsschutz und Innenexperten warnen vor
Selbstjustiz und Unterwanderung durch Rechtsextremisten. Der Linke*Landtagsabgeordnete Enrico Stange sagt, Beispiele aus
Sachsen würden zeigen, dass neben dem scheinbaren Ziel, Menschen zu schützen, Bürgerwehren immer offen für rechtsextremes
Gedankengut sind. Auch in Heidenau schließt die Polizei politisch motivierte Gründe für die jüngsten Ereignisse nicht aus.
Deshalb wurde nun der Staatsschutz eingeschaltet. Der hat bereits einige Heidenauer im Visier. Beobachter vermuten, dass
rechte Kräfte gegenwärtig die Sorge der Heidenauer bewusst ausnutzen und damit eine Stimmung nähren, die dann als
Begründung für Aktionen gegen Ausländer herhalten soll. ...
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