Das Löschen von Internet-Archiven
von Maik Gizinski
Seite 404 - Waren Sie da auch schon? Im Internet ist sie derzeit eine der erfolgreichsten Seiten. Was allerdings alles andere als ruhmreich ist. Denn die 404 ist die Seite, auf die Sie gelangen, wenn Sie was suchen, was vorher drin war im Netz, jetzt aber gelöscht wurde. Depublizieren heisst das im Fachjargon. Und depubliziert wurde viel in den letzten Monaten. Zum Ärger der Gebührenzahler. ZAPP über Links, die ins Leere laufen.
"Plötzlich und unerwartet ging sie von uns: Die Publizierung", heißt es in einer Todesanzeige in diesen Tagen. "Es trauern: Die Surfenden bei ARD & ZDF. Und die Redakteure, auch bekannt als: "Depublizierer". Was aussieht wie ein Scherz, ist keiner.
Jörg Sadrozinski, Redaktionsleiter tagesschau.de: "Wir mussten mehr als 270.000 Videos aus unserem Angebot herausnehmen. Mehr als 250.000 Texte. 25.000 Audios. Also eine ganze, ganze Menge Inhalte, um die es natürlich sehr, sehr schade ist."
Verluste für den Nutzer
Eckart Gaddum, Leitung Neue Medien, ZDF: "Das waren, ich sag jetzt mal bei heute.de, ein Prozentsatz von weit über 90 Prozent des vorhandenen Textsatzes, den wir im Grunde rausschmeißen mussten. Und das ist ein Verlust an Hintergrund und ein Verlust an Freiheit für den User."
Ein Verlust für den Nutzer. Die ZDF-Onlinejournalisten aber sind dazu gezwungen: Für ihre Texte oder Videos im Internet müssen sie jetzt ein Verfallsdatum bestimmen: Abhängig vom Thema dürfen die Inhalte meist sieben Tage, ein halbes Jahr oder 12 Monate im Netz bleiben. Danach wird automatisch depubliziert: Alles geht wieder offline. Auch die Themen, die aktuell brisant sind, wie die Atomkraft. Wie lange dürfen die alten Meiler am Netz bleiben? Wann gelingt der Ausstieg? Schon im Kanzlerduell vor einem Jahr wurde darüber gestritten. Ein spannender Konflikt, aber eben zu alt für das Onlineangebot von ARD und ZDF.
Eckart Gaddum, Leitung Neue Medien, ZDF: "Nach den Regeln des Depulikationskonzeptes muss ich das Ding jetzt eigentlich rausschmeißen. Im Automatismus ist jetzt drin: 'AKW-Debatte/Duell: Raus!' Ja? Jetzt müssen wir händisch rangehen, um zu sagen: 'Ok, das ist eine aktuelle Debatte, das muss drin bleiben.' Aber es zeigt sozusagen das Problem. Der User hat nicht mehr, wie vorher, die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wann er welche Inhalte abrufen will. Das ist der entscheidende Punkt. Das ist, wenn man so will, die Versündigung an der Idee des Internets."
"Ein bisschen weltfremd"
Und das hier sind die Sünder. Schon 2008 einigten sich die Ministerpräsidenten auf einen neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Und beschlossen damit das Ende des Online-Archivs von ARD und ZDF. Über die Tragödie bei der Loveparade vor wenigen Wochen dürfen die Öffentlich-rechtlichen zwar weiter berichten. Auch über die 21 Opfer und die Suche nach den Verantwortlichen. Doch wie die Loveparade überhaupt nach Duisburg kam, das ist länger als ein Jahr her und gehört damit offline. Selbst der Jahrhundertsturm Kyrill, der 2007 Norddeutschland verwüstet hat: Bei ARD und ZDF findet er sich im Internet nicht mehr.
Markus Beckedahl, Blogger "netzpolitik.org": "Heutzutage gibt es im Internet so viel Platz, dass auf den Webseite der Sender die ganzen Archivinhalte immer noch bereit gestellt werden können. Und, das ist eigentlich eine Errungenschaft des Internets. Und wenn man jetzt hingeht und diese ganzen Inhalte künstlich wieder raus nimmt, nicht mehr zugänglich macht, dann ist das ein bisschen weltfremd."
Weltfremd und absurd: Zehntausende Links zu Videos oder Hörfunkberichten laufen jetzt ins Leere. "Seite nicht gefunden."
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Krieg um die Macht im Internet
Doch ARD und ZDF müssen sich beugen. Seit Jahren tobt ein regelrechter Krieg um die Macht im Internet. Die Verlage wollen wachsen, die öffentlich-rechtlichen sollen schrumpfen.
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Die Mediatheken von ZDF und ARD sind ausgedünnt. Millionen Filme und Hörfunk-Berichte sind für die Zuschauer vorerst verloren, obwohl die sie doch bezahlt haben.
Markus Beckedahl, Blogger, netzpolitik.org: "Und wenn wir das alles wieder verstecken in den Archiven,
dann verstecken wir auch den Zugang zur Kultur, den Zugang zur Zeitgeschichte."