Die Hauptperson mag bescheiden sein. Groß ist die Geschichte trotzdem, in der sie ihre Rolle spielt. Wir sind mit Iwona Maks aus Polen nach Speyer in Rheinland-Pfalz gefahren, wo sie am Heiligen Abend mit Ernst Biallas auf der Couch sitzen wird. Biallas ist 88 Jahre alt. Er ist Witwer, leidet an Asthma und Lungenkrebs, braucht ein Sauerstoffgerät zum Atmen. Seine Tochter, sein einziges Kind, wohnt zwar in der Nähe, ist aber voll berufstätig. Seit drei Jahren sorgt deshalb Iwona Maks dafür, dass Ernst Biallas noch in seinem Haus leben kann und nicht in ein Altersheim umziehen muss. Sie ist eine der 500.000 Frauen, die den Mangel an Pflegepersonal in Deutschland erträglich machen. Ohne sie wüssten Zehntausende Familien nicht weiter. Wer sonst sollte sich um Oma oder Opa kümmern, um Papa oder Mama, um Onkel oder Tante? Ins Heim will im Alter nicht jeder. Außerdem kostet ein Platz dort schnell 3000 Euro im Monat oder mehr.
Ohne die 500.000 Frauen, moderne Wanderarbeiterinnen, wäre in Deutschland auch der Personalmangel in anderen Branchen noch viel größer, weil gut ausgebildete Töchter und Söhne weniger arbeiten könnten, wenn sie ihre Eltern pflegen müssten. Dafür, dass Iwona Maks nach Speyer kommt, bezahlt Familie Biallas 1650 Euro im Monat, außerdem sind Kost und Logis frei. Rund 1100 Euro bekommt Iwona Maks netto, in ihrem Arbeitsvertrag stehen 31 Wochenstunden. Der Rest sind Steuern, Sozialabgaben und die Vermittlungsgebühr für die beiden Agenturen, die dazwischengeschaltet sind.
Von Danzig an der Ostsee bis nach Gerstetten auf der Schwäbischen Alb
Monat für Monat bringen die 500.000 Frauen (Männer sind eine Seltenheit in der Branche) viel Geld in ihre Heimat, umgerechnet rund 300 Millionen Euro, das die Binnennachfrage dort ankurbelt. Außerdem hat das Altenpflegegeschäft gerade in Polen einen eigenen, gar nicht so kleinen Wirtschaftszweig aus Personalvermittlungen, Fortbildungsanbietern und Transportunternehmen entstehen lassen. Einen grenzüberschreitenden Pendelverkehr mit einer halben Million Teilnehmerinnen aufzubauen, der günstig und reibungslos funktioniert, ist eine logistische Leistung. Man stelle sich vor, die
Bundeswehr mit ihren knapp 200.000 Soldaten wollte ihre Truppe im Monatstakt hin- und herverlegen. Nur mal so zum Größenvergleich.