Diese Wiederholung hat einen Grund. Wenn man mich fragt, welches die bedeutendste Klaviersonate des 19. Jahrhunderts ist, wäre meine Antwort "Beethovens op. 106", wie ich Beethovens und Brahms' Violinkonzert oder dessen zweites Klavierkonzert nennen würde, ginge es um andere Gattungen.
Deutschland zu verstehen, seine leider vergangene Größe, ohne diese vier Werke zu kennen, und noch ein paar mehr, geht nicht.
Das Adagio ist ein langsamer Satz von Schubert'scher, fast schon Bruckner'scher Ausdehnung und erheblicher Tiefe, um es sehr vorsichtig zu formulieren.
Vor das Adagio setzt Beethoven ein vitales und zündendes Scherzo mit einem Taktwechsel im Trio.
Mit Ausnahme des ersten Satzes, den er in dieser Einspielung etwas langsamer nimmt als in der hier [Links nur für registrierte Nutzer], hält sich Brautigam an Beethovens Metronomangaben, die er nicht ohne Grund und sonst bei keinem Klavierwerk mitgegeben hat.Alfred Brendel: „Nach Umfang und Anlage geht die Hammerklaviersonate weit über alles hinaus, was auf dem Gebiet der Sonatenkomposition jemals gewagt und bewältigt wurde.“
Die Große Sonate für das Hammerklavier galt lange Zeit als unspielbar. Zudem ist sie die einzige der 32 Klaviersonaten Beethovens, welche authentisch mit dessen originalen Metronomzahlen versehen ist – und die sind so enorm schnell, dass bis heute die Abweichungen in der allgemein-gängigen Aufführungspraxis (selbst bei dem im Originaltempo durchaus spielbaren langsamen 3. Satz!) charakterlich ein gänzlich anderes Musikstück entstehen lassen, als vom Komponisten wahrscheinlich beabsichtigt war. [Links nur für registrierte Nutzer]
Ich nehme an, Beethoven wollte vermeiden, daß sein Opus Magnum von Interpreten sentimentalisiert und dadurch entstellt wird.
Jeder ist frei, die Hammerklaviersonate auszulegen, wie es ihm subjektiv gesehen richtig scheint. Mir geht Lenz' Bemerkung viel zu weit. Sie riecht auch so eigenartig nach dem Parfum des Schuldkults, denn kollektives Leid gilt, wie wir wissen und uns jeden Tag eingebimst wird, nur und in sehr exklusiver Weise für ein ganz bestimmtes Kollektiv.Der Kontrast zwischen spritzigem Scherzo und dem folgenden tiefgründigen Adagio könnte nicht größer sein. Mit circa 20 Minuten Spieldauer ist der dritte Satz einer der längsten Sätze, den Beethoven je komponiert hat, und in seiner Ausdrucksintensität einer der stärksten. Im großen Adagio sostenuto, den der Musikschriftsteller Wilhelm von Lenz treffend ein "Mausoleum des Kollektivleids" nannte, erreicht die Sonate ihren Schwerpunkt. Wut, Klage und Trost – die Gefühlspalette ist im Adagio sehr reich. [Links nur für registrierte Nutzer]
Ich verbinde das Adagio sostenuto mit Beethovens durch die Ertaubung verursachter Vereinsamung und als Vorbereitung seines Abschieds vom Leben.
Das reicht an Inhalt. Mehr muß nicht sein. Die Werke schwerpunktmäßig aus der emotionalen Perspektive zu betrachten, führt leicht dazu, daß man etwas in sie hineinlegt, was gar nicht enthalten ist und darüber vernachlässigt, was viel wichtiger wäre, die Struktur.