2.1 Historische Erfahrungen und das Bild vom Anderen
1988 erschien ein Beitrag des Islamwissenschaftlers Ulrich Haarmann zum Türkenbild der Araber von der Zeit der Abbasidenkalifen (8. Jahrhundert) bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die historischen Quellen lassen den Schluss zu, dass „die Araber“ über Jahrhunderte „den Türken“ eine
„überraschend beständige“ Feindrolle zuwiesen und die Hauptzüge dieser Charakterisierung sehr widerstandsfähig waren.8 Galt zunächst „der Türke“ als barbarisch, kriegerisch und mutig, setzte sich seit Anfang des 16. Jahrhunderts unter der Osmanischen Herrschaft im Nahen Osten und in Nordafrika das Bild vom
„grausamen und despotischen, kulturlosen Türken“ durch. Die Fremdherrschaft, gepaart mit dem Gefühl der Unterlegenheit, konsolidierte diese Wahrnehmung „des Türken“, der nicht nur die politische und militärische Herrschaft inne hatte, sondern auch das
Monopol über die Religion, den Islam, und die islamisch geprägte Kultur für sich reklamierte. „Arabisches Wissen“ in Form arabischer Manuskripte wurde aus Bibliotheken Kairos nach Konstantinopel geschafft.9 Das neue religiöse und kulturelle Zentrum wurde Konstantinopel.
Das Bild vom „Türken“ als grausamer Eroberer verselbständigte sich und prägte das Geschichtsbild der arabischen Bevölkerung. Seit dem 19. Jahrhundert nahmen nationalistische Ideen und antitürkische Ressentiments in den arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs zu. Der Zerfall des Osmanenreichs und die Gründung der türkischen Republik durch Kemal Atatürk 1923 änderte nichts an den
negativen Stereotypen über die Türken.
Im Gegenteil, nach Abschaffung des Kalifats durch Kemal Atatürk 1924 und dem Bestreben, einen säkularen Nationalstaat zu begründen, galten die Repräsentanten der modernen Türkei als
„schlechte Muslime“, als „
Verräter“ am islamischen Glauben und am islamischen Kulturerbe. Auch nach der Gründung unabhängiger arabischen Nationalstaaten im Nahen Osten und in Nordafrika änderte sich die Wahrnehmung der Epoche osmanischer Herrschaft nicht; sie blieb die Zeit der Fremdherrschaft und der Unterdrückung. Ulrich Haarmann stellte erst ab Mitte der 1970er Jahre eine leichte Veränderung fest; die Notwendigkeit, sich mit der gemeinsamen Vergangenheit neu zu befassen, sei erkannt worden.10 Graham E. Fuller nannte in einem Beitrag aus dem Jahr 1996 zwei Faktoren, von denen die Akzeptanz der Türkei als Partner für arabische Staaten abhängen würde:
Zum einen die Selbstwahrnehmung arabischer Staaten und zum anderen die Rolle und Ausprägung des Nationalismus in den arabischen Staaten. Wenn, so Fuller, das „alternde Konzept“ des „arabischen Nationalismus“ von einem „islamischen Nationalismus“ abgelöst werde, dann sei eine Kooperation, basierend auf einer „islamischen Vision“ im Sinne eines „Neo-Osmanismus“, die auch den Balkan und die Region Kaukasus einbeziehen könnte, vorstellbar.11
Es ist allerdings sehr fraglich, ob religiöse Gemeinsamkeiten zu Beginn des 21. Jahrhunderts die nationalstaatlichen Interessen in den Hintergrund drängen können. Einen gemeinsamen religiösen Nenner mit der Türkei zu finden ist für die arabischen Staaten auch schon deswegen schwierig, weil in kaum einem Land religiöse Homogenität herrscht und innerhalb des Islam die unterschiedlichen Glaubensrichtungen in einem Rivalitäts- und Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. In einem Konkurrenz- und Konfliktkontext leben jedoch in der Regel
alte Stereotypen der gegenseitigen Wahrnehmung wieder auf. Auf türkischer Seite sind die überlieferten Stereotypen über „die Araber“ nicht weniger negativ.
Philip Robins12 meinte noch 2002, die türkische Elite, die kemalistische wie die islamistische Elite, betrachte Araber bzw. arabische Muslime nicht als gleichwertig. Mustafa Aydin führt dieses Überlegenheitsgefühl auf die Osmanische Herrschaft in Nahost/ Nordafrika zurück, als „Türken“ die Eroberer waren.
Verbreitet seit zudem die Überzeugung, dass Araber ihre Angelegenheiten nicht auf zivilisierte Art und Weise regeln könnten.13 Arabern werde, so Robins, Misstrauen entgegengebracht. Ihnen werde
„illoyales“ Verhalten während des Ersten Weltkriegs vorgeworfen; durch dieses Verhalten hätten sie dazu beigetragen, das Osmanische Reich zu Fall zu bringen. Sie gälten deswegen als
„Verräter“. Diese Interpretation der Geschichte – die von den historischen Fakten allerdings nicht gestützt wird14 – sei immer noch verbreitet.
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Quelle:
Die arabisch-türkischen Beziehungen
Zur Forschungsproblematik (PDF)
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