Wie Sozialbetrüger Schlupflöcher nutzen
Leere Wohnungen und große Autos: Was die Ermittler der Arbeitsagenturen finden - Eine Momentaufnahme
von Insa Gall/Gisela Kirschstein/ Florian Willershaus
Berlin - Seit Anfang 2005 gibt es das Arbeitslosengeld II. Die Bewilligung sollte einfacher sein, der Mißbrauch geringer. Doch wie vorher bei Arbeitslosen- und Sozialhilfe versuchen einige, Geld vom Staat zu bekommen, obwohl sie dazu nicht berechtigt sind. Die WELT dokumentiert einige Fälle und zeigt die Tricks der Sozialbetrüger.
Wohnen in bester Lage
Der niedrige Mietpreis machte die Sozialermittler in Hamburg stutzig. Knapp 300 Euro für eine Ein-Zimmer-Wohnung in Alsternähe hatte eine arbeitslose Frau bei der Agentur zur Kostenübernahme angemeldet. Doch weil Wohnen in der begehrten Alsterlage der Hansestadt eigentlich deutlich teurer ist, gingen die Sozialkontrolleure der Sache auf den Grund. Der Abgleich mit dem Melderegister und ein Blick auf den Klingelknopf ergaben, daß eine zweite Person in der Wohnung lebte. Bei der Unterkunft handelte es sich nicht um ein Zimmer, sondern um eine geräumige Vierzimmerwohnung. Die Frau hatte kurzerhand ihren Lebensgefährten als Vermieter ausgeben. Mit einem fingierten Mietvertrag wollte sie sich einen Teil der gemeinsamen Mietkosten vom Staat finanzieren lassen.
Aktion Arbeitsbeschaffung
Ein Hamburger Beschäftigungsträger, der einen großen Schulungsbereich unterhält, brachte kurzerhand ein Dutzend Ein-Euro-Jobber in Kursen für Rechnungswesen unter. Pro Nase kassierte er einen monatlichen Zuschuß von 400 Euro. Einziger Sinn dieser Maßnahme: Der Träger wollte seine Kurse füllen. So sollten die eigenen Lehrkräfte beschäftig werden, nachdem das Geld für Weiterbildung von der Arbeitsagentur zusammengestrichen worden war - eine Aktion Arbeitsbeschaffung. Als die Sozialkontrolleure unangemeldet vor der Tür standen, wurden die Vorwürfe zugegeben.
"Herr I. gibt ein Konzert ..."
Das Plakat am Eingang war unübersehbar: Herr I. gibt ein Konzert, stand darauf. Nichts Ungewöhnliches für einen Musiker, doch in diesem Fall hatte Herr I. sich verkalkuliert: Der Libanese ist Empfänger des Arbeitslosengeldes II, und als solcher verpflichtet, seine Nebeneinkünfte anzugeben, was er aber nicht tat. Ein anonymer Anruf setzte die Ermittler auf die Spur des Musikers. Sie sahen sich Plakat und Kneipe an, und wurden anschließend auch noch im Internet fündig: Herr I. ist ein Profi, der bei verschiedene Konzerte im ganzen Südwesten auftrat. Weitere Ermittlungen ergaben, daß der Musiker einen teuren BMW fährt und seine Wohnung mit mehreren neuen Möbeln ausgestattet hatte. Vor der Kamera einer Fernsehreporterin beichtete der Musiker ganz ungeniert seinen Erfolg - Gesangseinlage inklusive.
150 Quadratmeter für Frau G.
Frau G. bezog bereits monatelang Geld für eine Mietwohnung. 150 Quadratmeter in einem Stadtteil Ludwigshafens, Neubau, frisch renoviert. Als die Ermittler bei ihr zu Hause nachschauen wollten, stellten sie fest, daß die Wohnung über einem Blumenladen leer stand und seit zwei Jahren nicht mehr vermietet war. Frau G. hatte den Mietvertrag mit der Mutter ihres Lebensgefährten abgeschlossen, wohnte woanders und kassierte.
Papa hat eine Freundin
Der Hinweis, der am 27. Oktober einging, lautete: fingierte Bedarfsgemeinschaft. Der alleinerziehende Vater lebte bereits seit einiger Zeit mit seiner Freundin zusammen, einer berufstätigen Frau. Trotzdem beantragte er Arbeitslosengeld II. Als der Antrag abgelehnt wurde, schrieb ihm seine Freundin eine Kündigung für die gemeinsame Wohnung, damit der Mann - auf dem Papier - ausziehen und doch noch Arbeitslosengeld II beziehen konnte.
Abwechselnd schlafen
Und dann war da noch die Geschichte von dem Paar, das sich trennte, aber in einem Apartment mit nur einem Bett wohnte. Dem Sozialermittler erzählte das Paar, man schlafe abwechselnd.
Frau M. liebt Fußball
Die junge Frau wohnte eigentlich gemeinsam mit ihren Eltern in einem Haus. Als die Hartz-IV-Gesetze griffen, gab sie auf einmal an, eine eigene Bedarfsgemeinschaft gegründet zu haben. Sie wohne zwar noch im Haus der Eltern, habe aber eine eigene Wohnung und zahle an diese sogar Miete. Vor Ort fanden die Ermittler tatsächlich eine Einliegerwohnung im Keller. Allerdings hingen hier Fußball-Poster an der Wand und Bilder vom fußballbegeisterten Bruder. Die Sachen der jungen Frau fanden sich im 1. Obergeschoß bei den Eltern.
Herr S. hat ein echtes Problem
Herr S. dachte, er hätte alles richtig gemacht: Ein Zweifamilienhaus hatte er sich zugelegt, an die Bank zahlte er regelmäßig die Raten ab, die Altersvorsorge schien sicher. Dann verlor Herr S. seinen Job, leider war er da schon 50 Jahre alt. Mehr als 100 Bewerbungen schrieb er, alle erfolglos. Die Mieter der zweiten Wohnung zogen aus, nun stand auch noch die Wohnung leer. Die Einkünfte hätte Herr S. ohnehin bei der Agentur angeben müssen. Hätte er das getan, wären ihm die Bezüge gestrichen worden - und wovon sollte er dann leben? Die Raten an die Bank kann er ohnehin kaum noch zahlen. Also gab Herr S. an, er wohne in einem Einfamilienhaus. Als der Ermittler von der Arbeitsagentur kam, packte selbst den das Mitleid angesichts der ausweglosen Situation.
Arbeit im Alpenländle
Für deutsche Sozialfahnder ist die Grenze zur Schweiz löchrig wie ein Emmentaler. "Wir vermuten, daß eine ganze Reihe unserer Kunden zum arbeiten in die Schweiz fährt", sagt Hendrik Roggendorf, Geschäftsführer des Job-Centers Konstanz. In seinem Revier streichen die Sozialbetrüger eine Grundversorgung ein, lassen sich die Wohnung von der Arbeitsagentur bezahlen. Zum arbeiten pendeln sie ins Alpenländle und kassieren Löhne, die meist über den Konstanzer Durchschnittsverdienst liegen. Das muß nicht einmal Schwarzarbeit sein. Ganz offiziell arbeiten viele deutsche Leistungsberechtigte in der Schweiz. Ihr Glück: Der grenzüberschreitende Datenabgleich funktioniert nicht. "Das ist ja in Deutschland schon schwierig genug", klagt Roggendorf. Jetzt muß er auch noch eng mit den Behörden eines Staates zusammen arbeiten, der nicht zur EU zählt. Erst wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, kann die Agentur für Arbeit mit Amtshilfe des Zolls bei den kantonalen Arbeitsämtern in der Schweiz nachfragen lassen. Sofern dort ein Leistungsempfänger gemeldet ist, können die Deutschen gegen ihn rechtlich vorgehen.
Leere Wohnung in Freiburg
Wahrscheinlich war es die Ex-Frau, die ihn angezeigt hat. Jedenfalls kam von der Arbeitsagentur ihres Wohnbezirks der Tip an die Freiburger Kollegen, einen langzeitarbeitslosen Facharbeiter zu überprüfen. Der 42jährige Empfänger des Arbeitslosengelds II hatte sich von der Agentur für Arbeit eine 45-Quadratmeter-Wohnung in Freiburg bezahlen lassen, wohnte aber längst bei der Freundin, ebenfalls eine ALG-II-Bezieherin. In solch einer "eheähnlichen Gemeinschaft" hätte einer einen Anspruch auf eine Grundversorgung von 345 Euro, der Partner auf weitere 311 Euro. Doch der Facharbeiter ließ seinen eigenen Mietvertrag weiterlaufen. Denn wer allein lebt, hat Anspruch auf ein Versorgungsgeld von 345 Euro. Die Arbeitsagentur zahlte zehn Monate lang jeweils 345 Euro an beide Partner. Dazu kamen insgesamt 2800 Euro Nettokaltmiete für die Wohnung - damit der Arbeitslose 34 Euro Versorgungsgeld monatlich zusätzlich bekommen konnte.
Zuschuß nach Schwarzarbeit
Ein vermeintlich Arbeitsloser wollte sich mit einer kleinen Finanzberatungsagentur selbständig machen und beantragte Zuschüsse für die Existenzgründung. Bei ihrer Überprüfung fanden die Kontrolleure heraus, daß der Mann diese Geschäfte bereits seit geraumer Zeit schwarz betreibt.
Artikel erschienen am Do, 3. November 2005