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Michael Mann, damals an der University of Amherst. Ein flaches Stück, der Schaft des liegenden Hockeyschlägers, steht für das jahrtausendelang stabile Weltklima. Doch mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwingt sich der stilisierte Graf empor wie die gebogene Schlagfläche. Er zierte unzählige Broschüren, Präsentationen und Zeitungsartikel, und vor allem prangte er im «Summary for Policymakers» des Berichts des Uno-Klimaausschusses IPCC von 2001 – nebst dem Satz «Es ist wahrscheinlich, dass auf der nördlichen Halbkugel die 1990er Jahre das wärmste Jahrzehnt und 1998 das wärmste Jahr der letzten tausend Jahre waren».

Dieser Befund bewog Regierende und Parlamentarier weltweit, das Kioto-Protokoll zu unterschreiben. Umso ernüchternder wirkt nun die Erkenntnis, dass der Hockey Stick nicht die Realität wiedergibt. Das Team des schwedischen Meteorologen Anders Moberg zeigte jüngst im Magazin Nature, dass das Klima in den letzten tausend Jahren weitaus stärker schwankte, als es der Hockey Stick suggeriert – ganz ohne menschliches Zutun.


«Zutiefst fehlerhaft»

So zeigt Mobergs Rekonstruktion, dass die Kleine Eiszeit zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert ein wirklich globales Phänomen war. Der Hockey Stick unterschlug jene Kälteperiode, die in Europa die Ernten schwinden liess und die Menschen scharenweise nach Amerika trieb. Wobei Moberg heute den Vorteil gegenüber Mann in den späten 1990er Jahren hat, über feiner aufgelöste Daten aus der Analyse von Baumringen, Sedimenten, Pollen und Eisbohrkernen zu verfügen.

Andere Forscher indes, allen voran Stephen McIntyre, ein kanadischer Geophysiker in Diensten des Beratungsunternehmens Northwest Exploration, machen Mann den schwerwiegenden Vorwurf, seine Daten bewusst manipuliert zu haben. Mann habe nur deshalb einen Hockeyschläger gesehen, weil er ihn sehen wollte.

Die Auseinandersetzung wird beiderseits mit mindestens so viel ideologischem wie wissenschaftlichem Eifer geführt. Mann gibt den Fälschungsvorwurf an McIntyre zurück und wundert sich, wie McIntyres «zutiefst fehlerhafte» und «von speziellen Interessen getriebene» Veröffentlichungen durch das Gutachtersystem schlüpfen konnten. McIntyre setzt das Wort «Wissenschaft» im Kontext mit Mann in Anführungszeichen. Sachlicher Diskurs sieht anders aus.


Die Modelle wanken

Die Dekonstruktion des Hockeyschlägers passt zum aktuellen Zustand der Klimatologie: Nachdem sie die Welt mit einer Serie düsterer Befunde zum Klimawandel schockiert hat, durchläuft die Disziplin eine Phase der Selbstklärung. Ihre Vertreter müssen erkennen, dass vieles, was sie früher über die Atmosphäre und die Ozeane zu wissen glaubten, zu einfach gedacht war.

In der Flut von Klimadaten verschwimmen Trends, die man einst klar vor Augen hatte. Mit jedem zusätzlich berücksichtigten Wirkfaktor ändert sich der Verlauf der Modellrechnungen. Man muss eben erst einmal darauf kommen, dass auch die Schaumkronen der Weltmeere die Strahlungsabsorption unseres Planeten wesentlich beeinflussen.

Was Klimaforscher heute von sich geben, ist längst nicht mehr so spektakulär wie früher: «Die Variabilität der Temperatur scheint über Zeitmassstäbe von mehr als 80 Jahren beträchtlich grösser gewesen zu sein als bisher gedacht», fasst Anders Moberg sein Resultat zusammen – nicht gerade eine griffige Entscheidungshilfe für Staats- und Unternehmenslenker und noch schlechter geeignet als Schlagzeile.


«Das Klima gibt es nicht»

Und so poliert man allzu matte Fakten zur Präsentation etwas auf. Der Webdienst der BBC überschrieb kürzlich einen Bericht über eine Studie der Universität Oxford mit «Alarm durch neue Klimawarnung». Die Temperaturen könnten weltweit um elf Grad Celsius steigen – doppelt so viel wie bisher vorhergesagt. Was die BBC verschwieg: Die Studie hatte insgesamt 2000 Modellvarianten durchgespielt, von denen sich die meisten unauffällig verhielten. Das Elf-Grad-mehr-Szenario gehörte zu den seltenen Extremfällen. Es ist keine Vorhersage, sondern nur ein Hinweis auf die Unzuverlässigkeit der gängigen Prognosen.

Das andere Ende des Desinformationsspektrums hat der amerikanische Schriftsteller Michael Crichton besetzt. In seinem Klimathriller «Welt in Angst» wollte er den Dogmatismus der Umweltaktivisten entlarven – und offenbarte dabei seinen eigenen.

Die Aufheizung der Meere und der Atmosphäre sei ein Hirngespinst, meint Crichton und präsentiert dem Leser zum Beleg die Daten der Messstation Punta Arenas an der Südspitze des amerikanischen Kontinents, die eine langfristige Abkühlung zeigen. Ein anders gesinnter Autor hätte vielleicht die Daten der Station nebenan in Santa Cruz herangezogen: Sie zeigen eine Erwärmung.


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Welches dieser Szenarien eintreten wird und wann, kann niemand sagen. Die meisten Klimatologen rechnen mit einer Verdopplung des Kohlendioxidgehalts irgendwann gegen Ende dieses Jahrhunderts, aber was die zu erwartenden Folgen betrifft, bleibt auch ihnen nur gelehrtes Raten. Die Klimaforschung ist eine der wenigen Naturwissenschaften, die weitgehend ohne Experimente auskommen müssen; es gibt eben nur ein Erdklima. Zur Realitätsprüfung ihrer Modelle sind Klimawissenschaftler auf die lückenhaften Messdaten der Vergangenheit angewiesen.
Das Kernproblem der Klimaforschung ist nicht, dass sie zu wenig über das Klima weiss, sondern dass sie weniger darüber weiss, als sie zu wissen vorgab. Die Stellung des IPCC als Zentralrat einer ganzen Disziplin ist einzigartig in der Wissenschaft, und die Zweifel am Hockey Stick konnten nur deshalb derart untergraben werden, weil das Gremium den Grafen vorher als unerschütterliche Wahrheit hinstellte.


Verlust der Neutralität

Auch im IPCC selbst sorgt die Verquickung von Forschung und missionarischem Eifer für Streit. Im Januar trat der amerikanische Hurrikanforscher Christopher Landsea aus dem Gremium zurück – aus Protest gegen «die Politisierung seiner Expertise». Sein IPCC-Kollege Kevin Trenberth hatte in einer Pressekonferenz die Serie zerstörerischer Hurrikane im Jahr 2004 auf die globale Erwärmung zurückgeführt. «Das IPCC hat seine Neutralität verloren», sagte Landsea.

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Mal wieder wird Panik geschürt.