Sechzig Jahre Anwerbeabkommen:
«Man wollte verhindern, dass sich die Türken heimisch fühlten und blieben»
In Deutschland haben die Feierlichkeiten zum Jahrestag des Gastarbeiter-Abkommens mit der Türkei begonnen. Während manche Deutsche um 1960 gefürchtet hätten, mit den Italienern kämen Kommunisten ins Land, hätten die Türken als fleissig und germanophil gegolten, berichtet der Historiker Ulrich Herbert.
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Ihre Historikerkollegin Heike Knortz spricht von einem «Primat der Aussenpolitik»: Ökonomisch habe die Zuwanderung aus der Türkei keinen Sinn gehabt, seien dadurch doch vor allem veraltete Industrien künstlich am Leben erhalten worden.
Diese These halte ich für überzogen. Aussenpolitische Überlegungen spielten auf deutscher Seite eine Rolle, aber eher eine nachgeordnete. Richtig daran ist aber, dass es auch Mitte der 1960er Jahre bereits Ökonomen gab, die den wirtschaftlichen Nutzen bezweifelten und vorrechneten, durch den Zuzug unqualifizierter Arbeitskräfte würden Industriebereiche, die eigentlich rationalisierungsfähig seien, künstlich am Leben erhalten, etwa Ziegeleien oder Betriebe der Textilindustrie. Doch letzten Endes war das Hemd den Unternehmern näher als der Rock: Die Auftragsbücher waren voll, man dachte kurzfristig und verwarf Argumente, die gegen solche Abkommen sprachen. Das war in allen westeuropäischen Ländern so.
Einige Historiker meinen auch, die Amerikaner hätten Druck auf die Bundesrepublik ausgeübt. Durch das Abkommen habe man im Kalten Krieg den Nato-Partner Türkei stabilisieren wollen.
Solche Aspekte tauchen in den Akten auf, aber sie zeigen sich nicht als durchgehend leitendes Motiv. Bestimmend waren hier das Arbeits- und das Innenministerium, die auch immer wieder miteinander stritten: Das Arbeitsministerium wollte der Industrie helfen, das Innenressort äusserte national- und einwanderungspolitische Vorbehalte. Die erste Vereinbarung mit der Türkei von 1961 fiel denn auch eher zurückhaltend aus: Anders als bei den Anwerbevereinbarungen mit Italien oder Spanien war es den Türken nicht erlaubt, die Familie nachzuholen, und die Arbeiter sollten nur zwei Jahre bleiben.
Das änderte sich 1964 mit einem zweiten Abkommen zwischen Bonn und Ankara. Nun fiel die zeitliche Begrenzung, und türkische Arbeitnehmer durften ihre Angehörigen nachholen. Was hatte auf deutscher Seite zu diesem Umdenken geführt?
Die DDR hatte unterdessen eine Mauer errichtet, und
dadurch versiegte ein Strom hochqualifizierter Arbeitskräfte, der bisher in die Bundesrepublik geflossen war, praktisch über Nacht. Die Zahl der ausländischen Arbeiter stieg nun rasch an. 1959 gab es in der Bundesrepublik 166 000 ausländische Beschäftigte, 1965 waren es 1,2 Millionen. Die Zahl der Türken lag 1962 bei 18 000. Erst Mitte der 1960er Jahre stieg sie spürbar an; 1970 stellten die Türken die grösste Gruppe von Ausländern. Nun erst wurden die Abkommen von 1961 und 1964 wirklich wirksam, zumal die Zweijahresfrist nun gefallen war.
Alles auf:
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