Hier ein Brief, den mir ein Linker zusteckte:
Liebe Genossen!
Mit dem Titel „Alles auf den Prüfstand!“ haben Gesine Lötzsch und das ND ein Buch auf den Markt der Ausarbeitung unserer Geschichte gebracht, das seit langem nötig und im Kreise echter Wahrheitsuchender geeignet ist, Schwarz und Weiß des real gewesenen Sozialismus objektiver als bisher einzuschätzen.
Lasst mich, liebe Leser, doch mal auf diesem Wege aussprechen, was ich schon so peu a peu seit etwa 1978 als Moskauer Korrespondent des ND, Redakteur des Ostseestudios Rostock und verantwortlicher Schöpfer des NDR-„Nordmagazins“ gedacht habe.
Vor allem erst einmal: Wie sich das nennen wird, was da einmal kommen wird, ist nicht unser Problem. Unser Problem ist, wie wir eine Ordnung los werden können, bei der die Mehrheit der Menschen von der Armen-Tafel essen muss, während eine kleine Minderheit mit Milliarden und aber Milliarden Dollar oder Euro den Gang der Welt bestimmt.
Zweitens: Man mag über den gewesenen Sozialismus denken, wie man will – ein Versuch, das Obige zu vollbringen, war es.
Drittens: Der Versuch war leider vom ersten Tage an ein Verstoß gegen die Erkenntnisse des Karl Marx. Eine neue Gesellschaftsordnung, die so tiefgreifend ist, wie das Projekt „Sozialismus“ nun mal ist, kann nur in Ländern zum Siege geführt werden, wo die günstigsten natürlichen und die am höchsten entwickelten gesellschaftlichen Bedingungen gegeben sind.
Viertens: Für diesen Fall hat uns Marx Diktatur erlaubt. Aber – bitte sehr, nur als Übergangsperiode. Mit anderen Worten: Wenn es der Revolutionsmacht nicht gelingt, innerhalb von kurzer Zeit eine höhere Stufe der Arbeitsproduktivität (und des damit verbundenen Lebensstandards der Menschen) hervorzubringen, müsste eigentlich die Revolutionsmacht die Rechnung ihre Lebens aufmachen, was da heißen würde: Vor das Volk ehrlich ahintreten und erklären: „Sehet her, wir schaffen es nicht. Lasst uns einen anderen Weg suchen...!“
Fünftens: Den neuen Weg wählte sich bei uns das Volk gegen die Starrheit der Parteiführung selber. Er führte wie ein Kopfsprung zurück in den Kapitalismus.
Sechstens: Die Parteiführung hat das nicht anders verdient. Predigte doch ihr Führer: „Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf“, zu Deutsch: „Die Diktatur bleibt“. Und: „Die Mauer kann noch fünfzig oder auch hundert Jahre stehen.“ Zu Deutsch: „Wir lassen Euch nicht dahin, wo Arbeitsproduktivität und Lebensstandard höher sind als bei uns“.
Siebentens: Mit vollem Recht riefen also die Menschen: „Wir sind das Volk“. Zu Deutsch: „Wir haben den Marx richtig verstanden: Nicht Könige, Präsidenten oder Generalsekretäre machen die Geschichte, sondern das Volk.“
Achtens: Nun muss das Volk die Rechnung seines Lebens aufmachen, die da heißt: Weiter essen von der Armen-Tafel oder Aufbegehren. Steine werfen? Autos anzünden? Warenhäuser plündern? Das kann ja wohl der „andere Weg“ nicht sein?
Neuntens: Das Zentralorgan der Millionäre schreibt: „Gegen fallende Kurse ist die Politik machtlos“ (10.09.11, S.2). Zu Deutsch: „Die Banken machen die Geschichte!“?
Zehntens: Das kann ja der „andere Weg“ wohl auch nicht sein. Nein, darf er nicht. Wird er aber, wenn nicht... ja, wenn nicht die Partei endlich die Rechnung ihres Lebens aufmacht.
Und die heist:
Asche aufs Haupt! Das Voll, unser Volk, aus dem wir ausgetreten waren, hat Recht getan. Seine „Wende“ muss auch unsere Wende gewesen sein. Niemand ist dadurch so tiefgreifend befreit worden wie wir, befreit von einer Last und einer Verantwortung, die wir schon lange Jahre zuvor nur noch mit immer mehr Machtmissbrauch aufrecht erhalten konnten.
Es war unser Volk, das uns mit der Nase hinein gestoßen hat, wo wir hin gehören, hingehören, wo die natürlichen und geschichtlich entstandenen Bedingungen für einen sozialistischen Weg vorhanden sind, wo das Volk jedes Jahr ein Inlandprodukt von 2 200 Milliarden Euro produziert. Schluss damit, dass davon jedes Jahr 600 Milliarden (also ein Viertel des Nazionaleinkommens und nach Investitio9n der Produktion, nach Abgaben an den Staat und Steuern!) als Reingewinn der Unternehmer verprasst werden oder auf die Banken gehen, wo sie noch mal Millionen Euro Zinsen bringen (Statistisches Jahrbuch der BRD)! Schluss mit der stillschweigenden Duldung dieses zum Himmel schreienden Unrechts.
Schluss aber eben auch mit der Reinwaschung des real gewesenen Sozialismus. Über ihn hat sich nun mal unser Volk eine Meinung gebildet, an der aus meiner Erfahrung kein Rütteln möglich ist. Im Gegenteil – jeder noch so gut gemeinter und begründeter Versuch bewirkt nur die eine Reaktion: „Na, die Linken, da hast du es – sie können sich nicht von ihrer Vergangenheit trennen. Bloß die nicht wählen, dann bringen sie uns noch einmal hinter eine Mauer!“ Schluss auch mit der Illusion, die Partei könnte auf parlamentarischem Weg nachhaltig zum Zuge kommen. Auch in dieser Frage ist unser Volk wieder klüger als die Partei und nimmt z. B. Wahlen immer weniger ernst. Auch dort machen nun mal die Banken die Geschichte, indem sie „Regierungen“ zwingen, noch mehr „Schulden“ zu machen. Zu Deutsch: die Politik von ihrem Willen abhängig machen. Obama lässt grüßen. Die die Arbeit nehmen, nennen sich (und wir plappern das nach) Arbeit“geber“, und die dem Volk das Geld wegnehmen, nennen sich „Gläubiger“ – so wird uns die Welt auf den Kopf gestellt!
Wo bleibt da der gesunde Menschenverstand?
Gewiss – das System existiert nun schon über 6 000 Jahre lang. Aber – bislang ging es um Millionen. Auch das war schon schlimm – die Krise von 1929 und die Lösung jener Volksenteignung 1945 lassen grüßen. Heute aber geht es bereits um Milliarden, ja, sogar schon um Billionen, mit denen da geprasst, gepokert und Kriegführung betrieben wird. Das nennt sich dann „soziale Marktwirtschaft“. Kann man es da noch dulden, dass „das Geld die Welt regiert“? Was heißt da „demokratischer Sozialismus“? Demokratie auch für die Geldräuber, Spekulanten und Kriegstreiber? Das kann ja wohl der „andere Weg“ nicht sein.
Also – Kommunismus? Da gehen allen Menschen die Haare hoch. Woher sollen sie auch wissen, was das Wort wirklich bedeutet? Wer sagt ihnen noch, dass damit eine Solidargemeinschaft der Menschen gemeint ist, wie sie einst zig-tausend Jahre lang auf Erden herrschte. Wer erinnert sie schon noch daran, dass dafür nur eine einzige Voraussetzung nötig ist: kein Geld, sondern ausreichende Mengen an allem, was der Mensch braucht. Wer sieht schon mit eigenen Augen, dass in einem Land wie der Bundesrepublik diese Voraussetzung längst erfüllt ist und sofort noch mehr erfüllt werden könnte, wenn nicht mehr rund sieben Millionen arbeitsfähiger Bürger auf die Armen-Tafel geschickt werden, sondern sechs mal die Woche sechs Stunden fleißig arbeiten „dürften“ und das auch in jedem Laden beweisen können. Überhaupt kein Problem im höchstentwickelten Industrieland Europas!
Da bräuchte man kein Geld mehr, erst Recht nicht irgendwelche Millionäre oder gar Bankbesitzer.
Sogar für Extra-Wünsche kann gesorgt werden. „Sie wollen ein Eigenheim? Warum brauchen Sie das?“, „Sie wollen im Porsche fahren? Wie lange – eine Stunde, einen Tag, einen Monat? – bitte sehr!“, „Sie wollen auf Mallorca Urlaub machen? Wie lang ist ihr Urlaub? 1000 spanische Euro – bitte sehr und Basta!“ Kein Problem, wenn es keine Millionäre mehr gibt!
„Kann man doch alles nicht ernst nehmen“, sagt da der Leser. Kann man aber sehr wohl, sechshundert Milliarden Euro jedes Jahr stehen zur Verfügung, deutlich zu lesen im Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik. Das „Büchlein“ weis natürlich, warum es 70 Euro kostet und das auch noch nur in wenigen Spezialbuchhandlungen, Absatz „Wirtschaftliche Gesamtangaben“.
Dem Büchlein kann man allerdings auch entnehmen, dass zu dem Staat, den sich Unternehmer und Banken geschaffen haben, auch Armee, Polizei, biblische Pharisäer (Politiker), Schriftgelehrte (Rechtsanwälte) und falsche Propheten (Medienbetreiber) gehören. Die wissen natürlich, dass das Geld als vornehmste Funktion die Erhaltung des Geldes hat.
Also wird nichts aus so einem „neuen Weg“?
Nicht kleinmütig sein! Auch neue Wege kann man Schritt für Schritt gehen, Hauptsache man kennt sie.
Günter Brock, Rostock, 10.09.11.