Zehn Jahre nach dem Massaker in Bosnien
Gedenken an die Opfer von Srebrenica
Am zehnten Jahrestag des Massakers von Srebrenica werden heute zehntausende Menschen zu den Gedenkfeiern am Ort der Gräueltat erwartet. Auch der serbische Präsident Tadic ist eingeladen. Sein Besuch ist umstritten. Doch Tadic besteht darauf: "Wir müssen den Teufelskreis des Übels auf dem Balkan durchbrechen", sagte er kurz vor Beginn der Gedenkfeier.
Jörg Paas, ARD-Hörfunkkorrespondent, z.Zt., Srebrenica
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Trauernde in Srebrenica (Archivbild 2003)
Hunderte Angehörige der Opfer des Srebrenica-Massakers von 1995 warten an der Straße zu dem Ort der Gräueltaten. Vier Lastzüge bringen insgesamt 610 Särge mit identifizierten Opfern. Der Konvoi biegt von der Hauptstraße ab zum Lagerhaus einer ehemaligen Batteriefabrik. Vor zehn Jahren waren hier niederländische Soldaten untergebracht. Srebrenica war UN-Schutzzone - jedenfalls auf dem Papier. Die Särge werden vor dem Gebäude abgeladen. Aus einer Mutter bricht die Verzweiflung: "Was habt ihr mit unseren Kindern gemacht! Zehn Jahre habe ich nach meinem Sohn gesucht, zehn Jahre voller Schmerz und Leiden."
200 Holzstelen erinnern an die Opfer
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Gedenktafel für die Opfer des Massakers in Srebrenica
Auf der anderen Seite der Straße werden heute die sterblichen Überreste der 610 Opfer im Rahmen der Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag der serbischen Eroberung von Srebrenica beigesetzt. Dann werden auf dem Friedhof insgesamt fast 2000 ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. 2000 grüne Holzstelen werden stumm aus dem Boden ragen. Es ist noch viel Platz; die Gesamtzahl der Opfer damals ist viermal so hoch. Doch die meisten sind bis heute nicht identifiziert. Ihre Gebeine sind zum Großteil noch gar nicht gefunden.
Für die Angehörigen ist es wichtig, einen Ort für ihre Trauer zu haben. Raska Turkovic wird heute ihren Bruder beerdigen. Am 11. Juli 1995 hat sie ihn zum letzten Mal lebend gesehen: "Ich habe immer gehofft, dass er lebend zurückkommt. Aber jetzt, da ich weiß, dass er tot ist, will ich ihn wenigstens begraben. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder. Das ist schwierig, mehr kann ich nicht sagen."
Tadics Teilnahme bleibt umstritten
Zur Gedenkfeier heute werden bis zu 50.000 Menschen erwartet.
Die Einladung eines bestimmten Politikers ist besonders umstritten: Boris Tadic, Präsident Serbiens. "Was will der hier", fragen viele.
Er solle lieber dafür sorgen, dass die Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic - der eine Ex-Präsident, der andere Ex-Militärchef der bosnischen Serben - endlich vor Gericht kommen. Sie müssten für das Massaker im Juli 1995 zur Verantwortung gezogen werden, fordern viele.
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Videoaufnahmen dokumentieren die Gräuel von Srebrenica
Auch in Belgrad muss der serbische Präsident für seine Entscheidung, die Gedenkfeier zu besuchen, viel Kritik einstecken.
Viele Serben beklagen lieber ihre eigenen Opfer und wollen von Srebrenica nichts wissen.
Doch Tadic lässt sich nicht beirren
: "Dieses Verbrechen wurde im Namen der serbischen Nation begangen. Ich will zeigen, dass Serbien die Verantwortung für die Zukunft der ganzen Region teilt", sagte Tadic. Er wolle den Respekt vor den unschuldigen Opfern ausdrücken.
"Wir müssen den Teufelskreis des Übels auf dem Balkan durchbrechen", fordert er.
Zehn Jahre nach Ende des Krieges ist an Aussöhnung in Bosnien-Herzegowina noch lange nicht zu denken. Doch immerhin: Auch der Leiter der Gedenkstätte gegenüber vom Friedhof in Potocari, Mersed Smajlovic, kann der Geste von Tadic etwas abgewinnen:
"Herr Tadic ist eingeladen wie die politischen Repräsentanten aller Nachbarländer. Wir werden ihn behandeln wie andere wichtige Persönlichkeiten auch. Generell begrüßen wir seinen Besuch, weil wir glauben, dass dies ein kleiner Schritt vorwärts sein könnte - zu Versöhnung und Aufrichtigkeit unter den Menschen in Bosnien."
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