Zitat von
NITUP
Was hat denn das Flottenprogramm Wilhelms mit dem Ersten Weltkrieg zu tun? Bekanntlich lag die Flotte während des gesamten Krieges tatenlos in ihren Häfen.
Das deutsche Kaiserreich hatte jedes Recht, schon aufgrund seiner Kolonien und damit zur Sicherung der Handelswege mit den Seemächten Frankreich und England im Besonderen gleichzuziehen. Was dem einen Recht ist, muss dem anderen doch wohl billig sein. Folgt man Deiner Argumentation, dann war die Seekriegsflotte des Britischen Imperiums doch wohl eine ständige Kriegsdrohung gewesen. Oder irre ich mich etwa?
Es gab eine Reihe von Vorfällen, die einen Ausbau der deutschen Flotte mehr als notwendig machten, allerdings nicht, um in irgendwelche Eroberungskriege zu ziehen. Da wäre als erstes der Streit mit London um den Englisch-Kongolesischen Vertrag von 1894, durch den die berechtigten deutschen Interessen vermittels des Bruchs des englisch-deutschen Vertrages seitens England gefährdet wurden. Als ein Jahr später Japan im japanisch-chinesischen Krieg den Sieg davontrug, bot sich unsere kaiserliche Majestät als Schlichter für die Gebietsverhandlungen an -als Schlichter, nicht als Eroberer. Zwar erlag Wilhelm hier dem Irrtum, die Engländer könnten Shanghai in Besitz nehmen, so dass Wilhelm die offenkundige Unterlegenheit auf See schnellstmöglich ausgleichen wollte, um in solchen Fragen auch international an Gewicht zu gewinnen. Was war daran verwerflich?
1897 brach die sogenannte Transvaal-Krise aus. Die Kapkolonie unter Führung von Cecil Rhodes drohte damit, seinen nördlichen Nachbarn aufgrund der dortigen und immensen Goldvorkommen zu annektieren. Jedoch stellten die deutschen Siedler fast ein Fünftel der Bevölkerung und das deutsche Reich hatte große Summen dort investiert, so dass es im berechtigten Interesse des Reiches lag, die Situation vor Ort stabil zu halten. 1894 finanzierte das Deutsche Reich eine Eisenbahnlinie, welche den Binnenstaat Transvaal und Delagoa Bay (portugiesisch) miteinander verband. London zog in Erwägung, Delagoa Bay zu anektieren, was zu Spannungen zwischen London und Berlin führte, denn England beabsichtigte mit der Anektierung, diese Eisenbahnlinie unter seine Kontrolle zu bringen und lehnte jede Einigung, die Berlin anbot, ab. Das Reich bestand auf die Unabhängigkeit Transvaals und in England zog man sogar einen Krieg in Betracht, um dies zu verhindern (Vgl. Clark, Christopher, Kaiser Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers. München 2000. 178 f.). Auch diese Krise, die nicht Deutschland vom Zaune brach, bestärkte Wilhelm in seinem Bestreben, des Reiches Präsenz auf den Weltmeeren berechtigterweise zu stärken, jedoch nicht, ich will es wiederholen, um Kriege vom Zaun zu brechen, sondern selbige zu verhindern.
Auch ist es mitnichten so, dass seine Majestät der Kaiser eine große Flotte schwerer Schlachtschiffe ins Auge fasste, sondern seine Vorstellung von einer starken Flotte bestand aus einer Reihe schneller und moderner Kreuzer, die es ihm ermöglicht hätten, flexibel Truppenkontigente beweglich einsetzen zu können. Jedoch gelang es Admiral Tirpitz, sich mit seiner Vorstellung einer aus schweren Schlachtkreuzern bestehenden Flotte durchzusetzen, und der sogenannte Tirpitz-Plan kam zur Anwendung. Doch war es mitnichten die Absicht unseres Kaisers gewesen, England mit seinem Flottenprogramm zu provozieren oder gar zu einem Krieg herauszufordern. Ganz im Gegenteil hoffte unser Kaiser am Ende sogar, dass sich England dem Dreibund Deutschland-Österreich-Italien irgendwann anschlösse. Wilhelms Mutter Victoria Adelaide Mary Louisa schrieb ihrer Mutter, der englischen Königin Victoria im Jahre 1898: "Ich weiß mit Sicherheit, dass Wilhelm sehr viel an einer Annäherung an England liegt und dass er von ganzem Herzen hofft, dass England in irgendeiner Form entgegen kommen und ihn auf halbem Wege treffen würde." (Ebd. 186).
1901 starb Wilhelms Großmutter, Königin Victoria, und der Kaiser reiste zur Beerdigung nach England. Anlässlich seiner Abreise aus England hielt er eine vielgeachtete Rede im Malborough House, in der er noch einmal betonte und ganz offen und mit seinem üblichen Pathos erklärte, dass es sein Ziel sei, ein Bündnis mit England einzugehen: "Mit einem solchen Bündnis könnte sich in Europa nicht einmal eine Maus mehr ohne unsere Einwilligung regen." (Ebd. 186).