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Thema: Der Erste Weltkrieg

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    Preuße aus Vernunft Benutzerbild von Stechlin
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    Standard Der Erste Weltkrieg

    Der Erste Weltkrieg und seine Ursachen

    Prolog

    Sowohl die jüngere als auch die ältere Geschichtsschreibung (erinnert sei an die unselige Fischer-Kontroverse) plappert gerne das Geschwätz von der Alleinschuld des deutschen Kaiserreiches am Ersten Weltkrieg, welche in Versailles als Sturzgeburt der Siegermächte das Licht der Welt erblickte, nach. Doch was geschah damals wirklich? Wie sahen weiland die europäischen Konstellationen aus, wie gestaltete sich die Rolle unseres Königs und Kaisers, die Rolle Englands?

    Christopher Clark, ein britischer(!) Historiker, veröffentlichte in den letzten Jahren zwei hervorragende Monographien zum Thema "Preußen", darunter eine Biographie unseres letzten preußischen Königs und deutschen Kaisers, Wilhelm II.

    Clark über sein Buch und über die Rolle Wilhelms in seiner Zeit:
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    Ziel dieses Beitrages soll sein, zusammenfassend Clarks Erkenntnisse, die auf einem umfangreichen und sehr sorgfältigen Quellenstudium basieren, darzulegen und die Frage aufzuwerfen, warum, trotz der Tatsache, dass diese Quellen ja kein Geheimnis waren und jedem Historiker zugänglich, bis heute an der Alleinschuld Deutschlands am WKI. festgehalten wird und warum das Bild über Wilhelm nach wie vor so negativ gezeichnet wird.

    Wie begann der Erste Weltkrieg? Wo lagen seine Ursachen? Warum kam es zum Kriegseintritt Frankreichs und Großbritanniens?

    Vorgeschichte

    Im Juni 1913 brach auf dem Pulverfass Balkan erneut ein Krieg aus, in dessen Verlauf Serbien erhebliche Territorialgewinne für sich verbuchen konnte. Zwar bestätigte sich in dessen Verlauf die Unabhängigkeit Albaniens, jedoch brach im Lande ein Aufstand aus und serbische Truppen marschierten ins Land ein, um denselben niederzuschlagen. Recht bald drohte Serbien mit einem erneuten Vorstoß nach Albanien, gar bis an die Adria. In Folge dessen setzte Österreich-Ungarn ein Ultimatum, und zwar am 18.10.1913, dessen Inhalt nach Serbien alle seine Truppen abzuziehen habe. Im Herbst desselben Jahres unterstützten alle europäischen Großmächte dieses Ultimatum und erachteten die Ansprüche Serbiens als unakzeptabel. Selbst Serbiens Verbündeter, das kaiserliche Rußland, ließ durch seinen Außenminister Sergej Sasonow verkünden, dass "Serbien an den Ereignissen, die zu dem Ultimatum geführt hatten, mehr Schuld trage, als gemeinhin angenommen werde." (Clark, Christopher, Kaiser Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers. München 2000. 259) Daraufhin drängte St. Petersburg seinen Verbündeten, das Ultimatum einzuhalten.

    Seine Majestät der Kaiser, Wilhelm II., drängte im Verlauf der Ereignisse Österreich-Ungarn mehr als einmal zu einer friedlichen Koexistenz mit Serbien, so dass Kaiser Franz Joseph am 16. Mai 1914 sich gegenüber seinem Außenminister, Graf Berchthold, beklagte: "Trotzdem scheint man sich in Berlin von dem Gedanken einer politischen Annäherung Österreichs-Ungarns und Serbiens [...] noch nicht frei gemacht zu haben." (Ebd. 263)

    Als Wilhelm II. auf seiner königlichen Jacht "Hohenzollern" die Nachricht von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajevo erhielt, brach er nach eingehender Beratung sofort Richtung Berlin auf, um den Frieden in Europa noch erhalten zu können. Zwar äußerte Wilhelm in einer Randbemerkung, dass man den Serben zunächst eine Reihe von Forderungen stellen müsse, die, wenn sie selbige nicht akzeptieren, energisch durchgesetzt werden sollten; "jetzt oder nie", "mit den Serben muss aufgeräumt werden, und zwar bald." (Ebd. 265 f.), jedoch wurde in der bisherigen Geschichtswissenschaft dieser Notiz jene Bedeutung beigemessen, welche als Beweis für Wilhelms Kriegsentschlossenheit angesehen wurden. Nur handelte es sich lediglich um eine von Wilhelms regelmäßig gemachten Randbemerkungen, die keinesfalls als Befehl galten und als einen solchen auch nie angesehen wurden. Denn die folgenden Ereignisse sprechen eine andere Sprache.

    Die Juli-Krise

    Am 6. Juli 1914 sagte Wilhelm zu seinem geschäftsführenden Staatssekretär, Admiral Eduard von Capelle, dass er (seine Majestät der Kaiser) nicht daran glaube, dass es zu größeren kriegerischen Verwicklungen kommen werde, denn seiner Ansicht nach seien Rußland und Frankreich noch gar nicht kriegsbereit. Wilhelm hoffte immer noch, dass dieser Konflikt regional begrenzt bleibe und fügte wörtlich hinzu, dass es keinen Anlass zur Besorgnis gäb, denn "für die nächsten sechs Jahre könne man von der Seite (gemeint war Rußland) sicher sein." (Ebd. 270).

    Serbien seinerseits akzeptierte überraschend einige der wichtigsten Punkte jener nach dem Mordanschlag von Sarajevo aufgestellten Forderungen, woraufhin Wilhelm II. auf die Kopie der serbischen Antwort schrieb: "Eine brilliante Leistung für eine Frist von 48 Stunden. Das ist mehr als man erwarten konnte! Ein großer moralischer Erfolg für Wien, aber damit fällt jeder Kriegsgrund fort." und fügte hinzu, als er von der Teilmobilmachung Österreichs erfuhr: "Darauf hätte ich niemals Mobilmachung befohlen." (Ebd. 274)
    Der Kaiser wies seinen Staatssekretär für auswärtige Beziehungen, Gottlieb von Jagow, an, Österreich sofort darüber zu informieren, dass es für Berlin keinen Kriegsgrund mehr gäbe und er bereit sei, "den Frieden in Österreich zu vermitteln." (Ebd. 274)
    Jedoch leistete Jagow diesem kaiserlichen Befehl nicht Folge, und die Ereignisse nahmen ihren schicksalhaften Lauf.

    Erich von Falkenhayn, kaiserlich-deutscher Kriegsminister, notierte, dass Wilhelm "wirre Reden [halte], aus denen nur klar hervorgeht, dass er den Krieg jetzt nicht mehr will und entschlossen ist, um diesen Preis selbst Österreich sitzen zu lassen." (Ebd. 274). Zeichnet sich uns hier das Bild eines Kriegshetzers oder das eines um jeden Preis, selbst um den des Verrats an einen Bundesgenossen bereiten friedenswilligen Monarchen?

    Die europäischen Konstellationen

    Um zu verstehen, in welcher internationalen und vor allem isolierten Lage sich das deutsche Kaiserreich weiland befand, ist es von Notwendigkeit, die Konstellationen der europäischen Großmächte verständlich nachzuzeichnen.

    Deutschlands einziger noch verbliebener Verbündeter war das Königliche und Kaiserliche Österreich-Ungarn, nachdem es zu einer Verlängerung des Bismarckschen Rückversicherungsvertrages mit Rußland nicht mehr gekommen war. Warum, stellt sich die Frage? Dieser Rückversicherungsvertrag war ein geheimes Dokument gewesen, dessen Paragraphen ein Beistandsabkommen beider Reiche beinhalteten, von dessen Existenz das Haus Habsburg aus guten Gründen jedoch nichts wusste. Rußland war der natürliche Verbündete Serbiens, das wiederum in starker Opposition zu Österreich ob der Vorherrschaft auf dem Balkan stand. Wenn es zu einer Konfrontation auf dem Balkan zwischen Serbien und Österreich-Ungarn kommen sollte, und die damalige Zeit ging mit dieser Möglichkeit hoch schwanger, so wäre sofort Rußland auf den Plan gerufen worden, dem serbischen Brudervolke beizustehen. Da das deutsche Reich, wie erwähnt, jedoch mit Österreich vertraglich gebunden war, so hätte sich eine Konfrontation mit Rußland nicht mehr vermeiden lassen, wenn Wilhelm gleichzeitig das Bündnis mit Österreich nicht gefährden wollte, ohne den Vertrag mit Rußland zu brechen. Die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland war also, aus damaliger Perspektive, nur folgerichtig gewesen.

    Warum führte Deutschland dann Krieg gegen Frankreich, was ja immer als Beweis für des deutschen Königs und Kaisers „imperialistischer“ Eroberungsgelüste herhalten muss? Frankreich seinerseits hatte 1907 ein Beistandsabkommen mit Rußland geschlossen, die zusammen mit England die sogenannte Triple Entente bildeten, das heißt, führt eine europäische Macht Krieg gegen Rußland, so wären Frankreich und England verpflichtet gewesen, Rußland militärisch zur Seite zu stehen. Das wusste man in Berlin nur allzu gut und das war zur damaligen Zeit "normale" Praxis gewesen. Die Einkreisung des deutschen Reiches also war somit kein Hirngespinst ewiggestriger Revanchisten, sondern gerierte zur militärpolitischen Tatsache, die ab den Juli-Tagen des Jahres 1914 zu folgenden Ereignissen führte: Österreich-Ungarn eröffnete den Krieg gegen den serbischen Verbündeten Rußland, um Serbien seinerseits in die Schranken zu weisen, um freie Hand auf dem Balkan zu haben. Deutschland, mit Österreich verbunden, befand sich somit im Krieg gegen Rußland, was wiederum Frankreich und England auf den Plan rief, die durch den Vertrag von St. Petersburg mit Rußland verbündet waren. Der „lachende Dritte“ war England gewesen, dessen Rolle sich als entscheidend gestaltete, dass es zu einem großen kontinentalen Krieg überhaupt erst kam; denn hätte England Frankreich und Rußland nicht garantiert, im Falle einer militärischen Auseinandersetzung an ihren Seiten zu kämpfen, so wäre man in Paris, Vertrag hin oder her, wo man immer noch auf eine Revanche für 1870 begierig hoffte, niemals in diesen Krieg gezogen, weil man, trotz des deutschen Zweifrontenkrieges, den deutschen Truppen militärisch unterlegen war.

    Die Rolle Englands

    Ein, wie immer, dreckiges Spiel spielte dabei natürlich London. König Georg V. lies am 28. Juli 1914 mitteilen, dass England im Falle eines Krieges neutral bleiben werde, was zur Folge gehabt hätte, dass auch Frankreich nicht in den Konflikt eingegriffen hätte, trotz des Vertrages von 1907. Dieser Eindruck einer englischen Neutralität verstärkte sich noch, als der britische Außenminister, Sir Edward Grey, zögerte, die englischen Intentionen zu verkünden. Doch schon zwei Tage später, am 30. Juli, erfuhr Wilhelm von seinem Botschafter, dass London davor gewarnt habe, dass Großbritannien in diesem Krieg nur unter der Bedingung "abseits stehen" werde (Ebd. 279), wenn der Krieg auf Rußland, Österreich und Serbien beschränkt bliebe. Die Doppelzüngigkeit ist hier offensichtlich. Somit war der Kriegseintritt Englands besiegelt. Seine Majestät der König und Kaiser war außer sich vor Wut, bezeichnete die Engländer als "Halunken", als "gemeines Krämergesindel" und erkannte scharfsinnig, dass England das deutsche Reich dazu zwingen wollte, seinen Verbündeten Österreich "sitzen zu lassen" (Ebd. 280) und nur einen Vorwand suchte, um eine Ausweitung des Konfliktes zu Gunsten Londons herbeizuführen und alle europäischen Festlandmächte gegeneinander auszuspielen.

    Doch das englische Doppelspiel ging noch weiter. Wilhelm hoffte noch immer auf einen Gesinnungswechsel in London. Nur ganze 24h später, am 31. Juli, unterbreitete König Georg V. das Angebot der englischen und französischen Neutralität, falls Deutschland auf einen Angriff auf Frankreich Abstand nähme. Der deutsche König und Kaiser ließ daraufhin England mitteilen, dass er zwar im Moment den Befehl zur Generalmobilmachung nicht mehr zurücknehmen könne, aber bereit wäre, gegen die Zusage der englisch-französischen Neutralität jeden Angriff auf Frankreich zu stoppen. Daraufhin gab Wilhelm den Befehl, keine weiteren Truppen Richtung französischer Grenze zu entsenden, bis man aus London ein Bestätigungstelegramm erhielte, was zu einem heftigen Streit zwischen dem Kaiser und seinem Generalstabschef führte, der seinerseits sofort losschlagen wollte (Vgl. Ebd. 280), denn Frankreich selbst hatte bereits mobil gemacht. Falkenhayn befürchtete nicht zu Unrecht, dass durch den Stopp der Truppendislozierung sich Deutschland in seinem Rücken entblöße. Doch der Kaiser ließ sich davon nicht beeindrucken. Er verfügte den Stopp der 16. Division, die bereits auf dem Weg in Richtung Luxemburg war. Generalstabschef Moltke äußerte gegenüber Kriegsminister Falkenhayn tränenüberströmt: "...diese Entscheidung des Kaisers [...] zeige [ihm], dass dieser immer noch auf Frieden hofft." (Ebd. 281).
    Gegen 17 Uhr desselben Tages traf aus London die Nachricht ein, dass England sogar für den Fall einer Auseinandersetzung mit Frankreich bereit wäre, neutral zu bleiben, doch nur ganze sechs Stunden später widerrief Grey dieses Angebot und Wilhelms Botschafter Lichnoswky gab das dem Kaiser zur Kenntnis (Vgl. Ebd. 282). Einen Tag später brach der Erste Weltkrieg aus.
    Geändert von Stechlin (22.01.2011 um 22:34 Uhr)
    "Wir sind nicht in die Welt gekommen, um glücklich zu sein,
    sondern um unsere Pflicht zu tun."

    Otto von Bismarck. Schmied des Deutschen Reiches

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