Wieviel Islam verträgt Moskau?
In der Hauptstadt wächst der Widerstand gegen das religiöse Leben der Muslime
Als Vielvölkerstaat hat Russland eine lange Tradition des Neben- und Miteinanders von Kulturen und Religionen. Doch wie belastbar ist dieses Zusammenleben, wenn es sich auf engstem Raum abspielt — in der Vielvölkerstadt Moskau? Eines der Zentren der Christenheit zählt nach verschiedenen Schätzungen inzwischen etwa zwei Millionen Muslime. Weil die vorhandenen vier Moscheen nur rund 10.000 Menschen aufnehmen können, beten Gläubige an den beiden größten muslimischen Feiertagen auf den Straßen rund um die Moskauer Zentralmoschee. Beim Ramadanfest im August waren es diesmal 55.000, beim Schlachtfest im November 70.000, die damit das gesamte Stadtviertel lahm legten — zum Ärger von Anwohnern und Autofahrern. Nun regt sich immer mehr öffentlicher Widerstand. Gegen den Bau einer weiteren Moschee lief eine Bürgerinitiative erfolgreich Sturm. Und Kulturschaffende fordern ein Verbot des Opferschlachtens auf offener Straße.
Der Islam ist in Russland eine traditionsreiche Minderheitenreligion. Die Zahl der Muslime beläuft sich heute auf 20 Millionen, in Moskau sollen es zwei Millionen sein. Ganz genau weiß das niemand, zumal ein großer Teil der Moskauer Muslime Einwanderer aus wirtschaftlich schwachen Nachbarstaaten sind und sich in der Schattenwirtschaft verdingen. Hinzu kommen Muslime aus Tatarstan und nordkaukasischen Teilrepubliken wie Tschetschenien oder Dagestan.
Für die meisten Moskauer Muslime sind die vier existierenden Moscheen ein wichtiger Anlaufpunkt. Hier trifft man auf vertraute Menschen, kann sich Rat und Hilfe holen. Doch die Infrastruktur steht in krassem Missverhältnis zur Nachfrage. Neben den Moscheen gibt es gerade einmal zwei Kulturzentren und eine islamische Universität. Der Moskauer Muftirat spricht von einem Bedarf an mindestens zehn weiteren Moscheen. Doch sein Co-Vorsitzender Nafigulla Aschirow räumte kürzlich gegenüber dem „Russischen Nachrichtendienst“ ein, es sei im Moment „nicht sinnvoll“, Bauprojekte voranzutreiben. Der Grund dafür ist nicht zuletzt eine agile Bürgerschaft, die sich gegen geplante Moscheen in ihren Wohngebieten massiv zur Wehr setzt.
Jüngst davon betroffen war der Stadtbezirk Textilschtschiki im Südosten Moskaus. Als im November Lokalpolitiker vor eine Bürgerversammlung treten, ist die Stimmung im Saal aufgeheizt. Wild gestikulierend und mit angespannten, roten Gesichtern verfolgen die Teilnehmer, wie ein Verantwortlicher nach dem anderen sichtlich verunsichert ihre Reden halten. „Wir brauchen hier kein türkisches Schloss. Repariert erst einmal unsere Häuser“, ruft Olga Lukina, als der Verwaltungschef des Stadtbezirks, Wjatscheslaw Sanakojew, die Bühne betritt. Im Saal wird heftig geklatscht und gepfiffen. „Baut erstmal die Poliklinik weiter aus“, schallt es aus einer anderen Ecke. Mehrmals unterbricht der Versammlungsleiter Wladimir Zotow, Präfekt von Südost-Moskau, die Sitzung. Erst als Bögen für die Fragen verteilt werden, kehrt Ruhe ein. Überall sitzen Menschen mit Zetteln auf ihren Knien und schreiben fiebrig lange Monologe.
Alltagssorgen nehmen dabei den größten Raum ein. In dem als sozialer Brennpunkt bekannten Stadtteil scheint vieles im Argen zu liegen. Es fehle an Schulen und Kindergärten, die Plattenbauten gehörten schon lange saniert, noch mehr Belastung könne man nicht verkraften, so die Mängelliste.
Doch offenbar scheint auch das Unbehagen der christlichen Mehrheit gegenüber der muslimischen Minderheit zu wachsen – und neue Formen anzunehmen. Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht eine Ursache dafür in latenter Islamophobie. Einerseits sei es die Lebensweise der Fremdarbeiter, die für Befremden sorgte. Andererseits hätten die Terrorakte tschetschenischer Separatisten in den letzten Jahren zu Ressentiments gegenüber der muslimischen Bevölkerung geführt. Nicht selten, so Halbach, werde der Islam mit Gefahr und Terror gleich gesetzt.
So schwingt denn auch auf der Bürgerversammlung bei allen vordergründig kommunalen Einwänden ein Unwille dagegen mit, dass ausgerechnet eine Moschee im Wohnviertel gebaut werden soll. „Der Bau einer Kirche wurde gerade erst abgelehnt“, empört sich Rita Schmakowa. Sie engagiert sich in der Bürgerinitiative „Nein zur Moschee“ (Mecheti.net). Gegen ein christliches Gotteshaus hätte sie nichts gehabt. Eine Moschee aber bringe noch mehr Fremdartiges in eine Wohngegend, die wegen der niedrigen Wohnungspreise ohnehin schon von vielen Muslimen bewohnt wird.
Die Sorgen der Bürger macht sich die politische Rechte zunutze. Der Aktionsbund „Mein Hof“ (Moj Dwor) wird von Michail Butrimow geleitet, der dem Moskauer Forschungszentrum „Sowa“ aus der rechten Szene bekannt ist. Zuletzt übergab er Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin Anfang Dezember einen offenen Brief gegen die Moschee.
In einem anderen offenen Brief hatten sich vor kurzem bereits bekannte Künstler an Sobjanin gewandt. Sie beklagten, dass während des Islamischen Schlachtfests, des höchsten islamischen Feiertags, in Moskau massenhaft Schafe vor aller Augen geschlachtet würden. Solche Szenen seien ein „Schock“ für viele Menschen. Gewalt und Brutalität stellten eine „ernste Gefahr“ für die Gesellschaft dar. Man respektiere die religiösen Gefühle der Muslime, doch dieses blutige Spektakel sei den russischen Traditionen „wesensfremd“. Schließlich hätten Tolstoi, Dostojewski, Tschechow und andere „große Humanisten“ stets dazu aufgerufen, alles Leben zu schätzen. Die Unterzeichner, zu denen unter anderem der Rocksänger Andrej Makarewitsch, der Schauspieler Leonid Jarmolnik, der Musikkritiker Artemij Troizkij und die Fernsehmoderatorin Olga Schelest gehören, appellieren an Sobjanin, das Schlachten in der Öffentlichkeit zu verbieten.
Die betroffenen Muslime fühlen sich durch die Ablehnung jedoch an den Rand gedrängt. Medjidor Kazimowitsch, Privatdozent an der islamischen Hochschule in Moskau, sieht sich von der Stadtregierung im Stich gelassen. „Immer wieder wird uns der Bau einer neuen Moschee versprochen und dann passiert nichts.“ Achmet M., Besucher der Zentralmoschee, hält daher das gemeinsame Gebet auf der Straße auch für ein wichtiges Signal an die Moskauer Bevölkerung:„Wir sind rechtmäßige Bürger Russlands. Jeder soll sehen, dass es uns gibt.“
Nach zwei Stunden endet die Bürgerversammlung. Präfekt Wladimir Zotow schiebt sich durch das Knäuel von Menschen, die mit Fragen und Forderungen auf ihn zustürmen. Erst vor einem Fernsehteam macht er Halt und blickt aufrecht in die Kamera. „Ich kann nur sagen, dass es hier keine Moschee geben wird“, sagt er und geht weiter. Die Bürgerschaft hat sich durchgesetzt, doch das Problem ist nicht gelöst. Wie soll künftig das Zusammenleben von Christen und Muslimen organisiert werden? Alexej Malaschenko, Islamexperte am Carnegie Zentrum in Moskau, sieht nur eine Möglichkeit: „Moskau ist eine Metropole und die Stadt mit den meisten muslimischen Einwohnern in Europa. Menschen müssen sich an Moscheen gewöhnen.“
Foto: Gläubige bis zum Horizont: Beim Islamischen Schlachtfest beten Muslime Mitte November in den Straßen rund um die Moskauer Zentralmoschee in der Nähe des Prospekts Mira.