Nichts hält mehr die Abdriftung der Türkein ins Mittelalter und in die Barbarei![Links nur für registrierte Nutzer]Das Paradoxon der türkischen Politik bestand lange darin, dass gerade eine - wenn auch gemäßigte - islamistische Partei das Land liberalisierte und die von der EU gewollten demokratischen und rechtsstaatlichen Reformen durchsetzte. Die AKP galt deshalb als Beispiel für eine islamistische Bewegung, die in der Lage ist, sich zu einer Art CDU zu entwickeln - zu einer konservativen, demokratiebejahenden Partei mit religiösen Wurzeln. Nun zeigt Erdogan, dass er sich islamistischen Organisationen wie der Hamas, als deren internationaler Fürsprecher er sich angedient hat, offenbar näher fühlt als dem Westen. Und die Art, wie er seit einiger Zeit innenpolitisch agiert, erweckt den Verdacht, dass ihm die Reform der Türkei nur Mittel zum Zweck war, um die alten Eliten von der Macht zu vertreiben.
Die Türkei ist in sieben Jahren AKP-Regierung islamischer und orientalischer geworden. Umfragen wie die vom German Marshall Fund durchgeführten "Transatlantic Trends" zeigen seit Jahren, dass die Türken sich vom Westen abkoppeln. In keinem anderen Nato-Land ist die Einstellung gegenüber der Nato wie auch der westlichen Führungsmacht USA so negativ. Auch die Europabegeisterung ist versiegt. Diese Abwendung vom Westen geht einher mit einer Annäherung der Türkei an die autoritären Regime Irans und Russlands. Bisher waren das aber nur Kurskorrekturen im Zeitlupentempo. Deshalb hat die Vehemenz überrascht, mit der sich Erdogan nun im Gaza-Krieg neben dem iranischen Präsidenten Mahmud Achmadinedschad als schärfster Israelkritiker der Region profilierte.
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Und das waren beileibe nicht nur Worte: Die Türkei hat die Bemühungen der USA und der Europäer aktiv hintertrieben, das moderate arabische Lager um Ägypten und Saudi-Arabien und deren Waffenstillstandskonzept zu stärken. Erdogan hat seine Emissäre zum Gegengipfel der von Iran und Syrien angeführten "Verweigerungsfront" nach Katar geschickt. Und er hat die Position aller relevanten Nahost-Akteure untergraben, wonach die Hamas erst dann als Verhandlungspartner infrage kommt, wenn sie vom bewaffneten Kampf gegen Israel lässt, Israels Existenzrecht anerkennt und die Oslo-Verträge als Grundlage eines Friedensvertrags akzeptiert.
Die Bedeutung der Türkei für Europa lag stets in ihrer Funktion als doppelter Brückenkopf: als muslimisches Land im Westen und als westliches Land in der muslimischen Welt. Wenn Erdogan jetzt antiwestliche Stimmung verbreitet und die Türkei israelfeindlicher verortet als etwa die arabischen Staaten Ägypten oder Saudi-Arabien, verspielt er die Rolle seines Landes als Mittler zwischen Orient und Okzident. Unter Erdogan verliert die Türkei das, was sie als Sonderfall auszeichnete - und damit verliert sie ihren Wert für den Westen.