Zitat:
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, sind Ihnen auch völkerrechtliche Verletzungen, die von der Gegenseite begangen wurden, bekannt?
KESSELRING: Bei meinen vielen Besuchen an der Front sind mir natürlich eine große Zahl...
[214] GENERAL RUDENKO: Ich protestiere gegen diese Frage. Meines Erachtens ist der Zeuge nicht befugt, Erklärungen darüber abzugeben, ob Deutschlands Feinde das Völkerrecht verletzt haben.
Ich glaube, daß diese Frage zurückzuweisen ist.
DR. LATERNSER: Darf ich dazu noch Stellung nehmen? Ich lege Wert auf die Beantwortung dieser Frage, und zwar möchte ich im Anschluß an diese Frage die weitere Frage an den Zeugen richten, ob er nach Bekanntwerden von völkerrechtlichen Verletzungen der Gegenseite die von den eigenen Soldaten begangenen völkerrechtlichen Verletzungen nicht oder vielleicht milder geahndet hat. Aus diesem Grunde lege ich Wert auf die Beantwortung dieser Frage.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern wissen, wie die Frage genau lautet und warum Sie glauben, daß sie zulässig ist.
DR. LATERNSER: Der genaue Wortlaut der Frage ist folgender: Ich habe an den Zeugen die Frage gerichtet: Sind Ihnen auch Völkerrechtsverletzungen auf der Gegenseite bekanntgeworden? Nach der Beantwortung dieser Frage will ich an den Zeugen die weitere Frage richten, ob er etwaige von der Gegenseite begangene völkerrechtliche Verletzungen zum Anlaß genommen hat, völkerrechtliche Verletzungen, die von eigenen Soldaten begangen worden sind, aus diesem Grunde vielleicht überhaupt nicht oder milder zu ahnden. Ich wollte aus der Beantwortung dieser Frage die Einstellung des Zeugen als Angehörigen der Gruppe feststellen, und ich halte aus diesem Grunde die Beantwortung dieser Frage für wichtig.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gerne wissen, was der Anklagevertreter der Vereinigten Staaten dazu zu sagen hat.
JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof, es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts, daß eine Verletzung auf der einen Seite keine Entschuldigung oder Rechtfertigung für eine Verletzung auf der anderen Seite ist. Natürlich gibt es auch die Doktrin der Repressalie, aber sie ist sicher auf keinen der hier hervorgetretenen Fälle anwendbar.
Zweitens, selbst wenn es zulässig wäre, diese Frage hier zu behandeln, so bin ich der Ansicht, daß dies in unpassender Art geschehen ist. Die Frage »Haben Sie von Verletzungen des Völkerrechts gehört?« geht sehr weit. Wenn es überhaupt zulässig ist, dieses Thema hier anzuschneiden, so wäre es zumindest erforderlich, einen bestimmten Fall in seinen Einzelheiten vorzutragen.
Eine allgemeine Anschuldigung der Verletzung des Völkerrechts würde kaum genügen, um diesen Gerichtshof über die Grundlage aufzuklären, auf der dieser Zeuge gehandelt haben mag.
Ein ganz spezieller Fall, von dem der Zeuge glaubhafte Kenntnis erlangt hat, könnte eine solche Grundlage sein. Die Frage des Verteidigers bietet sicherlich keine Grundlage hierfür.
[215] Ich glaube, daß wir hier zu weit von der Anklage abschweifen, und daß dies weit entfernt von allem ist, was mit diesem Fall zu tun hat. Ich weiß nicht, welche besonderen Greueltaten oder Völkerrechtsverlet zungen auf diese Weise entschuldigt werden sollen. Es müßten Greueltaten verübt worden sein, durch die versucht wird, Greueltaten, die von irgend jemand anderem begangen wurden, zu entschuldigen. Wer sie sonst noch begangen hat, und warum sie begangen worden sind, das wäre eine Frage, mit der wir uns zu befassen hätten, wenn wir auf dieses Thema näher eingingen. Ich bin der Ansicht, daß eine solche Frage ganz abseits des Beweisthemas liegt; selbst wenn dem nicht so wäre, wenn irgendeine Möglichkeit bestände, die Frage in den Rahmen des Beweisthemas zu bringen, dann wäre sie in einer unpassenden Art gestellt worden.