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Die frühesten Aufzeichnungen von Jesus enthalten sehr wenige Einzelheiten, und die Details, die wir haben, entwickelten sich mindestens 40 Jahre nach seinem Tod. Paulus beispielsweise sagt kaum etwas über das Leben oder den Tod von Jesus, nur dass Christus in Übereinstimmung mit den Schriften für unsere Sünden starb. Bei Markus steht im Zusammenhang mit dem jüdischen Krieg gegen die Römer (66-73 n. Chr.): „Die Kreuzigung wird nicht nur in Zusammenhang mit dem Passahfest vorgebracht, sondern … sie sollte der Geschichte vom Exodus des jüdischen Volkes aus Ägypten gleichen, wovon das Passahfest ein liturgischer Ausdruck war“ (S. 100). Sowohl das Passahfest wie die Kreuzigung sollten „die Idee der Befreiung aus der Sklaverei vermitteln. In der Exodusgeschichte war es die Befreiung aus den Banden der Sklaverei in Ägypten, während es in der Kreuzigungsgeschichte die Befreiung aus den ‘Banden der Sünde’ war“ (S. 101). Was die Berichte aus erster Hand betrifft, stammen weder die Worte noch die Details, die zur Darstellung der Kreuzigung verwendet werden, von Augenzeugen, sondern eher aus den hebräischen Schriften. Die Kreuzigungsgeschichte beruht stark auf Psalm 22 (beinahe wortwörtlich bei Markus) und Jesaja 53, der beschreibt, wie der Tod des „leidenden Knechts“ sich auf andere auswirkt – hier sieht Spong das Fundament, das für die Idee der Sühne gelegt wurde, und behauptet, dass die Ostergeschichte eigentlich „ein hochstilisiertes interpretiertes Bildnis ist, das gestaltet wurde … um Jesus mit messianischen Ideen zu identifizieren, die den Lesern der hebräischen Schriften vertraut sind … der Kreuzigungsbericht wurde für liturgische Zwecke entworfen … diese Erzählung der Kreuzigung ist nicht historisch“ (S. 112).
Die biblische Information über die Auferstehung ist widersprüchlich und verwirrend. Bis zum 9. Jahrzehnt n. Chr. gab es keine schriftliche Quelle, die andeutet, dass Jesus physisch aus dem Grab stieg. „Paulus sagt das nicht. Bei Markus gibt es keine Geschichte über ein physisches Erscheinen des auferstandenen Jesus. Matthäus ist mehrdeutig … Erst bei Lukas und Johannes … beginnt die Auslegung von Ostern mit Erzählungen, welche die physische Natur des auferstandenen Körpers von Jesus einbeziehen, wenn er aus dem Grab steigt“ (S. 119). Der Autor vermutet, dass diese späteren Geschichten die 24 Sunrise früheren einer nicht physischen Tradition überschütteten, da die Geschichte, je weiter sie zeitlich vomTod Jesu entfernt ist, dazu neigt, übernatürlicher zu werden.
Spong sieht es als seine erste Aufgabe, die sogenannte mündliche Periode der christlichen Geschichte zugänglich zu machen, bevor irgendwelche Erinnerungen an Jesus niedergeschrieben wurden: „Lange bevor jemand die Aufgabe übernommen hatte, die Evangelien zu schreiben, war Jesus bereits von den hebräischen Schriften interpretiert worden, und bei diesem Vorgang wurde die Jesusgeschichte nach der jüdischen Erzählung gestaltet …“ (S. 143). Da die Menschen keine Bibeln besaßen, muss es die Umgebung der Synagoge mit ihrem Studium der Schriften gewesen sein, die den Hintergrund dieser mündlichen Tradition bildete. Er fordert die Behauptung der christlichen Tradition heraus, dass Jesus die prophetischen Erwartungen auslebte. Im Gegensatz dazu meint er, dass sie versucht, die „Tatsache“ zu verbergen, „dass die Jesusgeschichte eigentlich aus den hebräischen bekannten Schriften zusammengestellt wurde und die Erinnerung an Jesus angepasst wurde, um den biblischen Erwartungen zu entsprechen“ (S. 144).
Spong behauptet, dass an Stelle der buchstäblichen Erzählungen die Evangelien eine Jesusinterpretation sind, welche durch das religiöse Leben des jüdischen Volkes stark gefiltert wurde, „wobei an die Jesusgeschichte gedacht wurde, an welche man sich über zwei bis drei Generationen erinnerte, bevor die Evangelien geschrieben wurden“ (S. 149). Er meint, dass verschiedene Darstellungen aus dem Alten Testament verwendet wurden, um die Jesus-Erfahrung auszulegen. Die Kreuzigungsgeschichte von Markus zeigt eine liturgische Folge von acht Dreistunden-Segmenten, die es den Jüngern gestattet, über den Tod von Jesus zu meditieren, was dem Paschal-Lamm nahe kommt, das die Macht des Todes zunichte macht. So wie das jüdische Volk das geopferte Blut eines Lamms auf ihre Türschwelle schmiert, damit der Todesengel vorbeigehen möge, meinte man, Jesus besäße die Macht, den Tod zu bannen.
Ein zweites Bildnis, Jesus als das Opferlamm von Yom Kippur, geht auf Paulus zurück, der schrieb: „Er starb für unsere Sünden.“ Zu Yom Kippur wurden zwei Tiere ausgewählt: Eines wurde geopfert, das andere wurde der SündentraÅNger. Das Opferlamm starb für die Sünden der Menschen; der Sündenbock, der die Sünden der Menschen trug, wurde in die Wüste geschickt. Dieses Bildnis des Opferlamms wurde dazu ausersehen, das Vorbild zu sein, „durch welches der Tod Jesu am Kreuz letztendlich interpretiert werden sollte“ (S. 166).
Ein drittes Bildnis aus den hebräischen Schriften, das auf Jesus übertragen wurde, ist das vom Menschensohn, „wahrscheinlich der älteste und bekannteste Titel, der für den entwickelt wurde, der die messianische Erwartung des jüdischen Volkes erfüllen sollte“ (S. 172). Nach dem Exil, als die jüdische Hoffnung auf Freiheit zerstört wurde, kehrten die Menschen zu dem Apokalyptizismus zurück – dem Traum von einer Befreiung und einem Schicksal jenseits der Geschichte. Der Messias (ursprünglich ein leiblicher Restaurator von Davids Thron) wird zum Agenten Gottes, der das jüngste Gericht verkünden und das Reich Gottes einweihen wird. „Der Menschensohn“ wird ein übernatürliches Bildnis des Messias. Spong findet überhaupt keinen Beweis dafür, dass Paulus diese Vorstellung von Jesus hatte. Geschichten bei Matthäus betonen die Identifikation des Menschensohnes mit Jesus durch die Parabeln des Gerichts, den auferstandenen Jesus mit voller Authorität im Himmel und auf Erden. Bei Johannes ist „der übernatürliche ‘Menschensohn’, dessen Aufgabe es ist, die Welt zu richten und das Reich Gottes einzuweihen, mit dem früheren weniger apokalyptischen messianischen Bildnis in Verbindung gebracht worden, das von Jesaja als einer identifiziert wird, der in das Leben Frieden und Ganzheit bringen wird, der als Zeichen des kommenden Königreichs die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Gelähmten gehend und die Taubstummen singend macht“ (S. 177).
Im Licht des vorgelegten Beweismaterials wird „der Jesus der Geschichte, der wirkliche Mensch, vage, wenn wir uns über die Möglichkeit klar werden, dass so viele der Evangelien-Bilder weit eher Interpretationen sind als Erinnerungen von Augenzeugen an einen geschichtlichen Menschen … Nun wird er als eine Zusammensetzung von mythologischen Interpretationen gesehen, die als Geschichte maskiert sind“ (S. 191). Für Spong ist Jesus dennoch keine mythologische, sondern eine geschichtliche Figur, und er möchte letztendlich die wirkliche Bedeutung von Jesus erforschen – ohne die interpretative Deckschicht und die theistischen Bildnisse, der sie über fast 2 000 Jahren ausgesetzt war. Um sein Ziel zu erreichen, nimmt er die traditionelle Definition von Gott und Religion unter die Lupe und findet einige interessante Einsichten. Eine Idee besagt, dass es sich bei den Religionssystemen der Menschen niemals um eine Suche nach Wahrheit handelte, sondern mehr um eine Suche nach Absicherung. Er erachtet viele Religionsformen als kaum mehr als kulturell beeinflusste Ausdrucksformen der Angst vor dem Nichts: Bei der „theistischen Gottesdefinition ging es niemals um Gott; es ging immer um Menschen, die verzweifelt ein Bewältigungs-System brauchen, das es ihnen ermöglicht, mit den Ängsten davor zu leben, was das Menschsein bedeutet“ (S. 215). Menschen, die fragten: „Gibt es irgendetwas dort draußen im Universum, das mehr Kraft besitzt als ich, das mich schützen kann?“,